Ölpreis wird zum Konjunktur-Indikator

Nachdem in den letzten Monaten – politikbedingt – Erdgas den Lauf der ökonomischen Prozesse bestimmte, scheint sich seit einigen Monaten das Erdöl als primärer Spielmacher zu etablieren. Beobachter verzeichnen trotz einigen Hin und Hers eine nachhaltige Aufwärtsbewegung. Das wird bei den konjunkturellen Auswirkungen nicht unbemerkt bleiben.

Vor allem das Ende der rigiden No-Covid-Politik Chinas hat für eine globale Sonderkonjunktur gesorgt, was sich wie üblich zuerst am stark erhöhten Energiebedarf ablesen lässt. Da Russland auch beim Erdöl ein systemrelevanter Protagonist ist, hat der Ukraine-Krieg und Putins Reaktion auf die Sanktionsmaßnahmen Europas und der USA direkten Einfluss auf den Ölpreis. Und der sendet keine ermutigenden Signale aus.

Experten erwarten Monster-Rallye

Ausgehend von 80 US-Dollar zu Beginn des Jahres hat sich der Preis für ein Barrel Brent mittlerweile auf 85 Dollar hochgeschraubt. Viele Marktbeobachter sehen das allerdings nicht als Ende, sondern als Anfang der Entwicklung: Nicht wenige erwarten eine kräftige Bewegung in Richtung Decke. Einige Analysten sehen gar einen Preis um 140 Dollar pro Barrel zum Ende des Jahres.

Die Gefahr ist groß, dass sich in den USA und Europa durch die Geschehnisse der letzten Monate eine generische Rezession breitmacht. Ob das so kommt, hängt wohl vor allem damit zusammen, wie die Industrieländer mit den Auswirkungen der Förderpolitik der erdölproduzierenden Länder umgehen, allen voran Russland, und mit dem derzeitigen Unwillen der OPEC, die Förderrückgänge in dem Krieg führenden Land durch eigene Steigerungen auszugleichen. Nicht zuletzt das wird darüber entscheiden, ob die Preisrallye beim Öl den befürchteten Verlauf nehmen wird.

Erwartungen als Kursmacher

Dass Kursentwicklungen an den Märkten vor allem auf Erwartungen beruhen, zeigt sich in diesen Tagen besonders deutlich am Beispiel Chinas. Der Abschied von den Pandemie-Restriktionen und das damit verbundene Wiedererwachen der chinesischen Industrie geht mit der Vermutung erhöhter Ölnachfrage einher. Alleine diese Prognose hat genügt, um den Ölpreis innerhalb eines Monats um mehr als fünf Prozent hochspringen zu lassen. Verwandelt sich die Prognose in gelebte Wirklichkeit mit all ihrer Sogwirkung auf die globalen Förderkapazitäten, dürfte die Rallye gewaltig an Fahrt aufnehmen.

Analysten rechnen mit einem massiven Schub der chinesischen Wirtschaft im zweiten Quartal 2023. Spätestens ab Jahresmitte rechnen Experten mit einem Anstieg des Ölbedarfs um rund 500.000 Barrel pro Tag. Wie sich das auf den Preis des fossilen Energieträgers auswirken wird, lässt sich leicht ausmalen.

Rezessionsgefahr entscheidet über den Preisverlauf

Vor allem die Frage, ob es in den USA und Europa tatsächlich zu einer Rezension kommt, entscheidet darüber, ob sich der Ölpreis in der befürchteten Weise nach oben entwickelt. Trifft die Rezession tatsächlich ein, wirkt sich das zumindest auf den Ölpreis positiv aus: Der Nachfragerückgang in beiden Wirtschaftsräumen dürfte den Mehrbedarf in China zum großen Teil ausgleichen. Das umso mehr, als rezessive Effekte bei den Hauptabnehmern chinesischer Produkte auch auf die Konjunktur im Reich der Mitte dämpfend einwirken.

Allerdings sind die konjunkturellen Signale aus Amerika und der EU nicht so bedrohlich wie befürchtet. Die wirtschaftliche Entwicklung nimmt wohl einen sanfteren Verlauf als angenommen. Gut möglich, dass es in den relevanten Wirtschaftszonen ohne Rezession abgeht. Das allerdings sind wiederum weniger gute Nachrichten für die Ölpreis-Entwicklung.

Aus der Gesamtsicht zeigt sich aktuell ein deutlicher Überhang auf der Nachfrageseite, was bei der Preiskurve nach oben weist. Eine belastbare Prognose verbietet sich allerdings angesichts des Sondereffekts Ukraine-Krieg. Er kann für Kursausbrüche nach oben sorgen, wenn das Öl-Embargo zur weiteren Senkung der Förderquoten führt. Auch eine optimistische Lesart ist denkbar: Ein unerwartet schnelles Ende der kriegerischen Auseinandersetzung würde zu einem schnellen Ende der Ölpreis-Krise führen.

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