Milliardenübernahme: Getir erwirbt Gorillas

In der Welt der Lebensmittel-Schnelllieferdienste bahnen sich größere Umwälzungen an. Erstes Opfer der offenbar längst fälligen Marktkonsolidierung ist die Übernahme des einstigen Startup-Wunderkinds Gorillas durch den türkischen Bringdienst Getir. Der Kaufpreis soll Insidern zufolge in Form von Getir-Aktien im Wert von 850 Millionen Euro und einer zusätzlichen Barzahlung über 100 Millionen Euro entrichtet werden.

Dass der deutsche Lieferdienst ausgerechnet von einem türkischen Branchenriesen übernommen wird, ist naheliegend: Der in Berlin ansässige Gorillas-Gründer Kagan Sumer ist türkischstämmig und hat sich sowohl in Deutschland als auch in seinem Heimatland geschäftlich betätigt.

Aufstieg und Fall des Startup-Stars

Die Geschichte des 2020 gegründeten und fast von Beginn an als Einhorn eingestuften Startups Gorillas war nur kurz. Anfangs unter den Vorzeichen des ersten Corona-Lockdowns als Superstar gefeiert, entwickelte sich Gorillas schon bald zum veritablen Problemkind. Vor allem das Versprechen, Lebensmittel innerhalb von zehn Minuten zu liefern, machte ein Geschäftsmodell erforderlich, das in direktem Widerspruch zu den Gegebenheiten in deutschen Großstädten stand.

Auslieferstationen in Wohngebieten führten in kürzester Zeit zu intensiven Konfliktlagen mit den Anwohnern, einschließlich der damit verbundenen negativen Berichterstattung. Die anfangs für Gorillas abgegebene Bewertung von einer Milliarde Euro brach schon bald in sich zusammen.

Hinzu kam der harte Verdrängungswettbewerb auf dem deutschen Liefermarkt durch weitere Schnell-Lieferer wie beispielsweise Flink. Das Marktumfeld gestaltete sich in kurzer Zeit zum Schlachtfeld und forderte seine Opfer. Bis zum heutigen Tag ist nicht klar, ob Gorillas jemals die Gewinnschwelle erreicht oder gar überschritten hat.

Trotz Übernahme massiver Wertverlust

Nach der Gorillas-Übernahme schätzen Analysten Getir auf rund sieben Milliarden Euro. Das bedeutet einen schmerzhaften Wertverlust: Bei der letzten Finanzierungsrunde kamen beide Unternehmen zusammen auf rund den doppelten Wert. Der Wertrückgang ist leicht nachvollziehbar: Für Getir stellt die Integration des deutschen Lieferdienstes mit seinem problematischen Geschäftsmodell eine enorme Herausforderung dar, die sich wohl auch spürbar auf die eigenen Ressourcen auswirken wird.

Zudem trifft Getir in Deutschland auf ein aggressives Marktumfeld. Der Verdrängungswettbewerb ist noch immer in vollem Gange und wird größtenteils über zerstörerische Rabattaktionen geführt. Dazu kommt das durch die Inflation getriebene lustlose Konsumverhalten bei den Verbrauchern. Auch steigende Preise und Personalkosten drücken schmerzhaft auf die Bilanz.

Getirs Strategie hat Europa im Fokus

Die langfristige Projektion des türkischen Lieferdienstes setzt offenbar auf die Marktkonsolidierung im Bereich der Schnellbringdienste. Getir geht vermutlich davon aus, aufgrund seiner Marktmacht die europaweite Konsolidierung unbeschadet zu überstehen, um dann in einem bereinigten Umfeld zu agieren.

Diese Wette auf Konsolidierung dürfte der Grund für den massiven Wertverlust sein. Investoren und Analysten sind offenbar noch nicht restlos davon überzeugt, dass Getir aus dem Verdrängungskampf siegreich hervorgehen wird und nicht etwa selbst zu einem Konsolidierungsopfer wird.

Skepsis der Analysten bei Getirs Erfolgsaussichten

Das türkische Unternehmen besteht seit 2015 und ist seit 2021 auch in Deutschland als Lebensmittel-Lieferdienst aktiv. Bei der letzten Finanzierungsrunde im März, bei dem das Unternehmen insgesamt 700 Millionen Euro einsammeln konnte, war Getir laut Analysten noch zehn Milliarden Euro wert.

Doch schon vor der von den Investoren skeptisch aufgenommenen Gorillas-Übernahme musste das türkische Unternehmen seinen eigenen Wertverfall beobachten. Vor allem der gescheiterte Versuch, seinen damaligen Konkurrenten Gorillas und Flink namhafte Marktanteile abzujagen, war wohl der Grund für das verlorengegangene Vertrauen. Ob die nun eingeschlagene Strategie – Übernahme statt Konkurrenzkampf – zu besseren Ergebnissen führen wird, bleibt abzuwarten.

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