ING Deutschland schafft Negativzinsen ab – Beginn einer Trendwende?

Die ING-Bank berechnet für den Großteil ihrer Kunden keine Negativzinsen mehr. Damit greift das Institut einer auf breiter Basis erwarteten Änderung bei der Zinspolitik der EZB voraus. Das ist auch die offiziell verbreitete Begründung: Man möchte die positive Zinsentwicklung auf den Kapitalmärkten frühzeitig an die Kunden weitergeben.

Noch ist nicht von einer vollständigen Streichung des negativen Zinses die Rede. Vielmehr erhöht die Bank die Freibeträge für das Verwahrentgelt bei Guthaben erheblich. Aktuell steigen sie von 50.000 auf 500.000 pro Konto, so die offizielle Ankündigung von heute.

Änderung betrifft so gut wie alle Kunden

Laut Nick Jue, Vorstandsvorsitzender der ING Deutschland, falle durch die Erhöhung das Verwahrentgelt für 99,9 Prozent aller Bankkunden weg. „Wir haben als eine der letzten Banken ein Verwahrentgelt eingeführt und schaffen es als eine der ersten quasi wieder ab“, so der Vorstandschef. Die Bank legt Wert auf die Tatsache, dass sich das Institut vom Verwahrentgelt bereits deutlich vor einer Zinserhöhung der Europäischen Zentralbank verabschiedet, zumindest in großen Zügen.

Dass es zur Änderung der Zinspolitik durch die EZB kommen wird, gilt zunehmend als wahrscheinlich, insbesondere unter dem Eindruck der hohen Inflationsrate. Analysten gehen von einer ersten Zinserhöhung im Juli aus. Noch unklar ist, ob die EZB dabei dem Beispiel der Fed folgt und einen Zinsschritt in Höhe von 0,5 Prozent wagt, oder ob sie sich mit 0,25 Prozent bescheiden wird.

Finanzmarktexperten gehen davon aus, dass dem ersten Zinsschritt der EZB noch in diesem Jahre mehrere weitere folgen werden. Das Ziel ist offenbar, den negativen Einlagensatz der Banken für geparktes Geld auf Null zurückzuführen.

Anhebung des Freibetrags als proaktiver Schritt

Beobachter vermuten, dass die ING mit der massiven Anhebung des Freibetrags für das Verwahrentgelt einer möglichen Kundenabwanderung vorgreifen möchte. Kommt es zu einer allgemeinen Entspannung, drohen umfangreiche Migrationsbewegungen von Bankkunden hin zu Instituten mit liberaleren Regelungen beim Verwahrentgelt.

Offenbar will sich die ING als Bank etablieren, bei der eine solche Abwanderung nicht erforderlich ist. Darüber hinaus könnte die frühzeitige Erhöhung des Freibetrags Migrationsbewegungen von anderen Banken hin zur ING auslösen.

Insbesondere Banken mit besonders restriktiven Regelungen müssen nun massiven Kundenverlust befürchten. Gerade Institute, die Verwahrentgelte schon ab 5.000 bis 10.000 Euro erheben, werden rasch reagieren müssen, soll es nicht zu dauerhaften Kundenabflüssen kommen.

ING will weitere Entwicklungen an Kunden weitergeben

Wenn es bei der EZB nach der für Juli erwarteten Zinserhöhung zu weiteren Zinsschritten kommt, will die ING auch diese zeitnah an ihre Kunden weitergeben. „Sollte sich das Zinsumfeld weiterhin positiv entwickeln, werden wir auch unsere Kundinnen und Kunden an dieser Entwicklung teilhaben lassen“, bekräftigt Vorstandschef Nick Jue.

Die Bank hat mit ihrem Schritt auch ihre Protestkunden im Fokus, also all diejenigen, die den AGB mit den Verwahrentgelten nicht zugestimmt haben. Bei dieser Gruppe vermutet die Bank eine hohe Abwanderungsbereitschaft. Durch die massive Erhöhung des Freibetrags hofft die Bank, dieses Kundensegment besser an sich binden zu können.

Die Pflicht zur Zustimmung der Kunden zu den geänderten AGBs geht auf eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs aus dem letzten Jahr zurück. Ändern die Institute Gebühren oder Entgelte, müssen sie nachträglich bei den Kunden um Zustimmung bitten. Der BGH hat diese Regelung getroffen, weil in der Vergangenheit stillschweigende Änderungen von den Kunden vielfach unbemerkt geblieben sind.