Inflationsrate in der Eurozone sinkt deutlich, aber Kerninflation steigt weiter

Die Inflationsrate in der Eurozone ist im Juni 2023 auf 5,5 Prozent gesunken, nachdem sie im Mai noch bei 6,1 Prozent lag. Das geht aus einer Schnellschätzung von Eurostat, dem statistischen Amt der Europäischen Union, hervor. Gemessen wurde dabei die Veränderung des Harmonisierten Verbraucherpreisindex (HVPI) im Vergleich zum Vorjahresmonat.

Die Kerninflation, die unter anderem die Preisentwicklung von Lebensmitteln und Energie ausschließt, ist jedoch weiter gestiegen und lag im Juni bei 5,4 Prozent, nach 5,3 Prozent im Vormonat. Da die Kerninflation die zugrundeliegenden Inflationstrends besser widerspiegelt, bleibt abzuwarten, inwieweit sich diese Entwicklung auf die kommenden geldpolitischen Entscheidungen der Europäischen Zentralbank auswirkt.

Die Bedeutung der Kerninflation

Durch den Ausschluss der Preisentwicklung in den Bereichen Energie, Lebensmittel, Alkohol und Tabak spiegelt die Kerninflation die strukturellen Gegebenheiten der wirtschaftlichen Lage realistischer wider als die Betrachtung der Gesamtinflation. Dieses Segment liefert ein wirklichkeitsnahes Abbild der mittel- und langfristigen Investitionserwartungen – der Hauptgrund dafür, dass die Kerninflation einen so hohen Einfluss auf die geldpolitischen Entscheidungen der EZB hat.

Auch die jüngste Eurostat-Schätzung bringt die Europäische Zentralbank nicht von ihren ursprünglichen Zielen bei der Inflationsbekämpfung ab. Wie bisher verfolgt die Zentralbank das Ziel der mittelfristigen Preisstabilität bei etwa zwei Prozent Inflationsrate.

Wirtschaftliche Erholung schreitet voran

Die sinkende Gesamtinflation und die steigende Kerninflation deuten darauf hin, dass sich die wirtschaftliche Erholung in der Eurozone fortsetzt, nachdem sie im Jahr 2022 von der Covid-19-Pandemie schwer getroffen wurde. Die EZB erwartet für das Jahr 2023 ein reales BIP-Wachstum von 4,6 Prozent im Euroraum.

Völlige Entwarnung gibt die EZB allerdings nicht. Noch ständen einem ungehinderten Wachstum erhebliche Unsicherheiten entgegen. Auch die geldpolitischen Maßnahmen müssten angemessen angepasst werden müssen, um eine nachhaltige Konvergenz der Inflation zu ihrem Ziel zu gewährleisten. Oder anders ausgedrückt: Mit weiteren Zinsanhebungen ist zu rechnen.

Besonders mit Letzterem scheint es der Europäischen Zentralbank ernst zu sein. Dafür spricht der Beschluss der Zentralbanker, ihre geldpolitischen Instrumente unverändert zu lassen und ihre umfangreichen Anleihekäufe im Rahmen des Pandemie-Notfallankaufprogramms (PEPP) fortzusetzen, um die Finanzierungsbedingungen günstig zu halten.

USA weiterhin Spitzenreiter bei der Inflationsbekämpfung

Nach höheren Werten in den Pandemie-Jahren 2020 und 2021 gegenüber Europa konnten die USA 2022 eine Trendumkehr auf den Weg bringen. Seither ist die Inflationsrate in den Vereinigten Staaten niedriger als im Euroraum. Dieser Trend wird sich nach Schätzung von Eurostat auch 2023 fortsetzen.

Vor allem die unterschiedliche Geschwindigkeit und Intensität der fiskalischen und monetären Maßnahmen von Regierung und Zentralbank in beiden Regionen sind der Grund dafür, dass sich die Inflation in den USA schneller zurückentwickelt als in der EU. Auch die unterschiedliche Struktur und Zusammensetzung der Wirtschaften und der Verbraucherpreisindizes in beiden Wirtschaftsräumen wirken sich massiv auf die unterschiedliche Inflationsentwicklung aus. Schließlich spielen auch die unterschiedlichen Wechselkursbewegungen zwischen dem Euro und dem Dollar, die Importpreise und die Wettbewerbsfähigkeit in beiden Regionen eine wichtige Rolle.

Europa holt auf

Die jetzt in Aussicht gestellte Beruhigung bei der Gesamtinflation im Euroraum kann dazu führen, dass die Wirtschaft in der EU gegenüber den massiven Konjunkturprogrammen in den USA nicht allzu sehr ins Hintertreffen gerät. Insbesondere eine Verbesserung bei der Kaufkraft in den EU-Mitgliedsstaaten wird die Lage voraussichtlich spürbar entspannen.

Auch der psychologische Aspekt spielt eine gewichtige Rolle. Sinkt die Inflation, steigt gleichzeitig das Vertrauen in die Geldpolitik der Zentralbanken – mit allen positiven Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt und die weitere Entwicklung der Teuerungsrate.

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