Deutschland verbessert sich bei der Gleichstellung von Mann und Frau – mit Einschränkungen

Laut einem Bericht des Weltwirtschaftsforums (WEF) rückt Deutschland bei der Gleichstellung von Männern und Frauen auf Rang sechs vor. Damit verbessert sich die Bundesrepublik um vier Plätze im Vergleich zum Vorjahr und erreicht ihr bisher bestes Ergebnis in dem Index, der seit 2006 vom WEF erstellt wird.

Zu dem Aufstieg beigetragen hat vor allem die gestiegene Zahl an weiblichen Abgeordneten im Bundestag und die fast ausgewogene Geschlechterverteilung in der Bundesregierung. Auch im Bildungs- und Gesundheitswesen bescheinigt der Index des WEF Deutschland ein größtenteils ausgewogenes Gleichstellungsverhältnis.

Lohnlücke und Führungskräftemangel

Allerdings gibt es auch Bereiche, in denen Deutschland noch Nachholbedarf hat. So hat sich die Lohnlücke zwischen Männern und Frauen im vergangenen Jahr weiter vergrößert. Außerdem ist der Anteil von Frauen in Führungspositionen mit 29 Prozent auf den Wert von 2018 zurückgefallen.

Trotz der guten Noten für Deutschland fordert das WEF folgerichtig die Bundesregierung auf, mehr Anstrengungen zu unternehmen, um die wirtschaftliche Chancengleichheit zu fördern. Dazu gehören unter anderem flexible Arbeitsmodelle, eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf sowie eine gerechtere Verteilung von unbezahlter Arbeit.

Europa führt, Afghanistan schließt das Ranking ab

Im weltweiten Vergleich führt Island weiterhin das Ranking an, gefolgt von Norwegen, Finnland, Neuseeland und Schweden. Die Schweiz verschlechterte sich im Wirtschafts- und Bildungsbereich und rutschte vom 13. auf den 21. Rang. Österreich fiel vor allem wegen des niedrigen Anteils an Ministerinnen von Platz 21 auf 47.

Am schlechtesten bewertet das WEF die Gleichstellung zwischen Männern und Frauen in Afghanistan, dem Schlusslicht des Rankings. Auch der Tschad, Algerien und der Iran landen auf den hintersten Plätzen.

Nach Schätzung des WEF wird es bei der derzeitigen globalen Entwicklung noch 131 Jahre dauern, bis die völlige Chancengleichheit zwischen Frauen und Männern erreicht ist. Europa könnte dieses Ziel jedoch deutlich schneller erreichen: Hier geht das WEF davon aus, dass in 67 Jahren ein ausgewogenes Verhältnis herrschen könnte.

Gesellschaftliche Entwicklungen wirken in beide Richtungen

Dass sich die Situation bei der Gleichstellung von Mann und Frau im politischen Bereich derart deutlich verbessert hat, geht nach Ansicht vieler Politikexperten auf den Einfluss von Altkanzlerin Angela Merkel zurück. In den 16 Jahren ihrer Funktion als Regierungschefin hat sie maßgeblich auf Gleichstellung in der Gesellschaft hingewirkt. Den größten Einfluss konnte die Kanzlerin im direkten Umfeld entwickeln, was sich in der starken Frauenquote bei Ministerinnen und anderen politischen Amtsträgerinnen widerspiegelt.

Genau entgegengesetzt wirkt sich die in der Bundesrepublik noch immer vorherrschende Einstellung zur geschlechtlichen Arbeitsteilung in der Familie aus. Trotz deutlicher Fortschritte dominiert das traditionelle Rollenbild mit dem Mann als Ernährer und der Frau als Familienmanagerin. Nicht zuletzt deshalb ist die Frauenquote in unternehmerischen Führungspositionen noch nicht da, wo sie sein könnte.

Unterschiedliche Sichtweisen bei Mann und Frau

Auch innerhalb der Familie divergieren die Meinungen zum Thema Gleichstellung. Männer vertreten im Durchschnitt ein traditionelleres Rollenverständnis als Frauen, wobei sich die unterschiedlichen Ansichten in letzter Zeit sogar noch etwas auseinander bewegt haben.

Die Zustimmung zu einem traditionellen Rollenverständnis nimmt allerdings bei höheren Bildungsabschlüssen ab. Personen ohne Abschluss oder mit Hauptschulabschluss weisen die höchsten Zustimmungswerte zum traditionellen Rollenbild in der Familie auf, während Personen mit Abitur eher auf Gleichstellung setzen.

Auch geopolitisch gibt es Unterschiede. Westdeutsche vertreten deutlich häufiger ein traditionelles Rollenverständnis als Ostdeutsche, auch nach der Wiedervereinigung. Offenbar wirken die unterschiedlichen Erfahrungen und Sozialisationsbedingungen in der DDR und der BRD bis in unsere Zeit nach.

Erwartungsgemäß stimmen ältere Altersgruppen einem traditionellen Rollenverständnis häufiger zu als jüngere. Dennoch zeigt sich auch hier ein Trend hin zum Konservatismus: Die Abstände zwischen den Generationen sind deutlich geringer geworden.

Am stärksten zeigt sich die Neigung zu einer traditionellen Rollenverteilung bei Menschen ab 65 Jahren. Da die Entscheidungsträger in deutschen Führungsetagen und Aufsichtsräten nicht selten dieser Altersgruppe angehören, dürfte noch ein weiter Weg zu beschreiten sein, bis weibliche Führungskräfte in bundesrepublikanischen Chefetagen angemessen vertreten sind.