Der Fachkräftemangel spitzt sich zu: Ausbildungsplätze bleiben unbesetzt

Die deutsche Wirtschaft steht vor einem ernsten Problem: Immer mehr Ausbildungsplätze bleiben unbesetzt. Dies ist nicht nur ein Problem für die Unternehmen, die dringend Nachwuchs benötigen, sondern auch für den Arbeitsmarkt insgesamt. Eine Analyse des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) der Bundesagentur für Arbeit zeigt, dass im Jahr 2023 rund 35 Prozent aller angebotenen Ausbildungsplätze nicht besetzt werden konnten – ein Rekordwert, der tieferliegende Probleme offenbart.

Rekordhoch bei unbesetzten Ausbildungsstellen

Die Zahlen sprechen eine deutliche Sprache: Während im Jahr 2010 noch etwa 15 Prozent der Ausbildungsplätze unbesetzt blieben, hat sich dieser Wert in den letzten Jahren mehr als verdoppelt. Diese Entwicklung unterstreicht den Wandel des Arbeitsmarktes, der sich zunehmend von einem Arbeitgeber- zu einem Bewerbermarkt entwickelt hat. Das bedeutet, dass es für Unternehmen immer schwieriger wird, geeignete Kandidaten für ihre Ausbildungsplätze zu finden.

Laut den Ergebnissen der IAB-Studie, die auf einer repräsentativen Befragung von rund 15.000 Betrieben basiert, haben fast alle Branchen und Unternehmensgrößen mit diesem Problem zu kämpfen. Besonders betroffen sind jedoch das Baugewerbe und die sogenannten personennahe Dienstleistungen wie das Friseurgewerbe. Hier bleibt fast die Hälfte aller Ausbildungsplätze unbesetzt, was die Zukunft dieser Branchen gefährdet.

Ursachen für den Mangel an Auszubildenden

Doch was sind die Gründe für diese dramatische Entwicklung? Eine der Hauptursachen ist der Mangel an geeigneten Bewerbungen. Rund 50 Prozent der befragten Betriebe gaben an, dass sie keine passenden Kandidaten für ihre offenen Ausbildungsstellen finden konnten. Dies liegt nicht nur an den oft spezifischen Anforderungen der Ausbildungsberufe, sondern auch an einem generellen Attraktivitätsproblem, das viele Berufe heute haben.

Mehr als 40 Prozent der Unternehmen mit unbesetzten Ausbildungsplätzen führten das schlechte Image bestimmter Berufe als Hauptgrund an. Insbesondere Ausbildungsberufe im Handwerk oder in den personenorientierten Dienstleistungen werden von vielen Jugendlichen nicht mehr als attraktiv wahrgenommen. Darüber hinaus spielen auch die Arbeitsbedingungen eine wesentliche Rolle. Schlechte Arbeitszeiten, wenig Flexibilität und geringe Aufstiegschancen schrecken potenzielle Bewerber ab.

Ein weiteres Problem ist die sinkende Anzahl an Schulabgängern. Der demografische Wandel führt dazu, dass es schlichtweg weniger junge Menschen gibt, die eine Ausbildung beginnen könnten. In Regionen wie Vorpommern, wo fast jeder zweite Ausbildungsplatz unbesetzt bleibt, wird dies besonders deutlich. Hier greifen viele Unternehmen mittlerweile auf Auszubildende aus dem Ausland zurück, um ihre offenen Stellen zu besetzen.

Regionale Unterschiede und die Bedeutung der Betriebsgröße

Die IAB-Studie zeigt zudem deutliche regionale Unterschiede. In Ostdeutschland ist der Anteil unbesetzter Ausbildungsstellen höher als in Westdeutschland. Dies liegt zum Teil an der geringeren wirtschaftlichen Dynamik in vielen ostdeutschen Regionen, aber auch an der Abwanderung junger Menschen in wirtschaftlich stärkere Gebiete.

Ein weiterer wichtiger Faktor ist die Größe des Unternehmens. Während in Kleinstbetrieben etwa 57 Prozent der Ausbildungsstellen unbesetzt bleiben, sind es in Großbetrieben nur 12 Prozent. Größere Unternehmen haben oft mehr Ressourcen und attraktivere Angebote, um potenzielle Auszubildende anzuziehen. Sie können beispielsweise höhere Ausbildungsvergütungen, zusätzliche Prämien oder bessere Aufstiegsmöglichkeiten bieten.

Lösungsansätze: Wie Unternehmen gegensteuern

Angesichts dieser Herausforderungen versuchen viele Unternehmen, ihre Ausbildungsplätze attraktiver zu gestalten. Laut der IAB-Studie setzen 62 Prozent der Betriebe auf finanzielle Anreize, um Auszubildende zu gewinnen. Dazu gehören Prämien für bestandene Prüfungen, zusätzliches Urlaubs- und Weihnachtsgeld sowie weitere Sonderzahlungen.

Doch finanzielle Anreize allein reichen nicht aus, um das Problem langfristig zu lösen. Unternehmen müssen auch an ihrem Image arbeiten und die Arbeitsbedingungen in den betroffenen Berufen verbessern. Eine bessere Vereinbarkeit von Beruf und Familie, flexiblere Arbeitszeiten und attraktivere Karrierewege könnten dazu beitragen, das Interesse junger Menschen an diesen Berufen zu steigern.

Zudem ist es wichtig, dass Unternehmen ihre Ausbildungsangebote stärker bewerben. Besonders kleine und mittlere Unternehmen, die oft nicht die Sichtbarkeit großer Konzerne haben, sollten proaktiv auf potenzielle Auszubildende zugehen. Dies kann durch Kooperationen mit Schulen, Teilnahme an Ausbildungsmessen oder gezielte Werbung in sozialen Medien geschehen.

Perspektiven für Jugendliche: Chancen nutzen

Für Jugendliche, die auf der Suche nach einem Ausbildungsplatz sind, eröffnen sich angesichts dieser Entwicklungen neue Chancen. Während es früher schwierig war, einen Ausbildungsplatz zu bekommen, haben Bewerber heute oft die Wahl zwischen mehreren Angeboten. Es lohnt sich, offen für verschiedene Berufsfelder zu sein und auch Alternativen in Betracht zu ziehen, die vielleicht nicht der ursprünglichen Wunschvorstellung entsprechen.

Prof. Bernd Fitzenberger, Direktor des IAB, rät Jugendlichen, sich auch auf Ausbildungsstellen zu bewerben, die nicht auf den ersten Blick perfekt erscheinen. In vielen Fällen sind Unternehmen bereit, Kompromisse einzugehen und auch Kandidaten eine Chance zu geben, die nicht alle Anforderungen erfüllen. Zudem gibt es zahlreiche Förderprogramme, wie zum Beispiel die Einstiegsqualifizierung der Bundesagentur für Arbeit, die Bewerbern den Einstieg in eine Ausbildung erleichtern können.

Praktika und freiwillige Tätigkeiten sind ebenfalls eine gute Möglichkeit, um erste Erfahrungen zu sammeln und sich für eine Ausbildung zu qualifizieren. Unternehmen schätzen es, wenn potenzielle Auszubildende bereits praktische Kenntnisse mitbringen und Engagement zeigen.

Ausbildung in Deutschland vor großen Herausforderungen

Der Fachkräftemangel könnte sich in den kommenden Jahren noch weiter verschärfen, wenn es nicht gelingt, mehr junge Menschen für eine duale Ausbildung zu begeistern. Unternehmen müssen deshalb verstärkt in die Attraktivität ihrer Ausbildungsplätze investieren und innovative Ansätze entwickeln, um den Nachwuchs zu sichern. Für junge Menschen bietet sich in dieser Situation jedoch auch eine Chance: Wer flexibel ist und bereit, sich auf neue Herausforderungen einzulassen, hat heute bessere Aussichten denn je, einen Ausbildungsplatz zu finden.

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