Ein Nein ist nicht genug: Sexualstrafrecht im europäischen Vergleich

Das gesellschaftlich wie auch juristisch bedeutende und häufig kontrovers diskutierte Sexualstrafrecht ist nicht nur in Deutschland ein zentrales Thema, welches regelmäßig in das Zentrum der Aufmerksamkeit rückt und teils besonders emotional aufgeladene Diskussionen auslöst. Besonders nach der Verschärfung und zeitnah darauf folgenden signifikanten Abschwächung des neuen Sexualstrafrechts in Spanien wird die Thematik auch in anderen Ländern Europas verstärkt diskutiert.

Reformen des Sexualstrafrechts mit zeitgemäßen Anpassungen und Ergänzungen sind allerdings nicht nur in Spanien oder auch in Deutschland ein wichtiges Thema – so wurde hierzulande zuletzt 2016 das neue und reformierte Sexualstrafrecht im Bundestag verabschiedet – sondern auch in den europäischen Nachbarländern.

Gemein ist zahlreichen Ländern dabei in der Regel die Diskussion und Abwägung zwischen den Grundsätzen NEIN heißt NEIN oder dem wesentlich strengeren Ansatz Nur JA heißt JA in Bezug auf sexuelle Handlungen. Verschärfungen des Sexualstrafrechts beziehen sich häufig allerdings auch andere Handlungen, etwa das sogenannte Catcalling, das unerwünschte und sexuell anzügliche Pfeifen oder Kommentieren einer Person, zumeist jüngere Frauen, in der Öffentlichkeit.

Catcalling und Täter-Opfer-Umkehr in Frankreich

Genau dieses Catcalling – ein Begriff, der selbst regelmäßig als verharmlosend und verniedlichend kritisiert wird – wurde etwa 2018 in Frankreich per Gesetz verboten. Im Falle einer verbalen sexuellen Belästigung oder Beleidigung im öffentlichen Raum kann eine Geldstrafe von bis zu 750 Euro verhängt werden. In Frankreich gab es zwar Aufklärungskampagnen mit dem Titel Sans oui, c’est interdit („Ohne Ja ist es verboten“, diese Haltung zum Prinzip Nur Ja heißt Ja wurde bislang allerdings noch nicht auf das französische Sexualstrafrecht übertragen.

Hier gilt eine Vergewaltigung nach wie vor als ein Akt sexueller Penetration, der mithilfe von „Drohung, Zwang, Gewalt oder Überraschung“ initiiert wird. Bei hinreichender Beweislage kann eine solche Vergewaltigung in Frankreich üblicherweise mit 15 Jahren Gefängnis bestraft werden. In besonders harten Fällen kann diese auch verdoppelt oder sogar auf lebenslänglich ausgeweitet werden.

Jurist:innen in Frankreich kritisieren allerdings, dass das Vergewaltigungsopfer nach wie vor beweisen muss, dass es sich auf wirklich um eine Vergewaltigung gehandelt hat. Dafür muss etwa eines von vier Kriterien erfüllt werden, etwa, dass Täter:innen im Vorfeld moralischen Druck und Zwang auf das Opfer ausgeübt haben.

Im Rahmen der Verschärfung des französischen Sexualstrafrechts werden zumindest Kinder und Jugendliche unter einem Alter von 15 Jahren nun besser geschützt als zuvor. Sexueller Kontakt mit volljährigen Menschen jeglicher Form ist strafbar geworden, da seit der Gesetzesreform davon ausgegangen wird, dass Kinder sexueller Interaktion mit Erwachsenen niemals zustimmen wollen würden.

Geschlechtsverkehr zwischen zwei minderjährigen Personen gilt in Frankreich bei gegenseitigem Einverständnis allerdings nach wie vor nicht als Straftat.

Ermunterung zur Anzeige in Schweden

In Schweden wurde 2018 das Einwilligungsgesetz eingeführt, welches voraussetzt, dass jegliche sexuelle Interaktion zwischen zwei oder mehr Menschen auf Freiwilligkeit und gegenseitigem Einverständnis beruhen muss. Im skandinavischen Land mit rund 10,5 Millionen Einwohnern gilt seitdem also das Nur Ja heißt Ja-Prinzip. Damit wollte die schwedische Regierung die Bevölkerung dazu bewegen, Vergewaltigungen häufiger zu melden, zu einer Anzeige und damit letztlich auch zu einer Verurteilung zu bringen.

Vor der Einführung des Einwilligungsgesetzes gab es im schwedischen Rechtssystem im Falle einer Vergewaltigung zahlreiche Freisprüche oder nur äußerst geringe Strafen, was für teils laute Kritik sorgte, sowohl in der schwedischen Bevölkerung als auch auf internationaler Ebene. Trotz der relativ niedrigen Einwohnerzahl Schwedens wurde geschätzt, dass mehr als 100.000 Menschen pro Jahr vergewaltigt oder Opfer eines sexuellen Übergriffs wurden. Zu einem strafrechtlichen Prozess kam es 2018 allerdings nur bei gerade einmal 0,4 Prozent aller Fälle.

Das veraltete Sexualstrafrecht der Schweiz

Das Sexualstrafrecht in der Schweiz, in der rund 8,7 Millionen Menschen leben, gilt weithin als überaus rückständig. Ein klar formuliertes Nein bei einer versuchten sexuellen Handlung ist rechtlich quasi bedeutungslos und männliche Opfer von Vergewaltigungen sind schon technisch nicht möglich: Nach Schweizer Recht kann es sich nur um eine Vergewaltigung handeln, wenn ein Mann explizit mit seinem Penis eine weibliche Person vaginal penetriert – und auch nur dann, wenn im Vorfeld Androhungen von Gewalt erfolgt sind. Alternative Methoden des Eindringens in den weiblichen Körper, auch bei klar geäußerter Ablehnung im Vorfeld, werden strafrechtlich nicht als Vergewaltigung bewertet.

Nach dem Unterzeichnen der Istanbul-Konvention (Übereinkommen des Europarats zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt) und immer lauter werdender Kritik am veralteten Sexualstrafrecht bemüht sich das Schweizer Parlament nun, neue Reformen und menschenwürdigere Gesetze auf den Weg zu bringen.

Fortschritt in kleinen Schritten

Begleitet von NPOs und Menschenrechtsorganisationen wie Amnesty International haben die Schweizer Bürger:innen erreichen können, die Politik zum Einlenken und zur Konzeptionierung eines neuen Sexualstrafrechts zu bewegen.  Bei diesem soll zukünftig der Willen eines Sexualpartners, unabhängig vom eigentlichen Geschlecht, in den Fokus rücken. Mindestens soll als das Nein heißt Nein-Prinzip gelten. Ende 2022 hat sich der Schweizer Nationalrat, die Große Kammer des Parlaments, sogar für eine Schweizer Nur Ja heißt Ja-Lösung ausgesprochen.

Die Kleine Kammer allerdings, der als äußerst konservativ geltende Ständerat der Schweiz, setzte im März 2023 letztlich einen Kompromiss in Form von Nein heißt Nein plus plus durch. Die Widerspruchslösung wurde durch die Anerkennung des Schockzustandes eines Opfers von sexueller Gewalt als nonverbales Nein ergänzt. Dieser Zustand der Bewegungs- und Wehrlosigkeit wird häufig auch als Freezing bezeichnet. Auch die Therapierung von Sexualstraftäter:innen wurde per Gesetz festgelegt.

Da nicht wenige Befürworter und Befürworterinnen des Nur Ja heißt Ja-Prinzips diese Kompromisse als akzeptabel bewertet haben, vermutet man, dass das geplante neue Sexualstrafrecht der Schweiz in dieser Form im Juni 2023 verabschiedet wird.

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