Das reformierte Sexualstrafrecht von 2016 – Eine Bilanz

2016 wurde das neue und reformierte Sexualstrafrecht im Bundestag verabschiedet. Zahlreiche Anpassungen und Ergänzungen konnten mit dem Leitgedanken „NEIN heißt NEIN“ zusammengefasst werden. Zu den Hauptintentionen gehörten die härtere, konsequentere Bestrafung von Täterinnen und Tätern sowie der bessere, umfassendere Schutz von Opfern. Doch Jahre später gibt es noch immer Probleme in Konzept und Durchsetzung.

Zur Verabschiedung des angepassten und erweiterten Sexualstrafrechts vor einigen Jahren wurde dieses von vielen Seiten als „Meilenstein“ und „längst überfällig“ gefeiert. Das neue Strafrecht konnte etablieren, dass jegliche sexuelle Handlung gegen den „erkennbar entgegenstehenden Willen“ eines Opfers strafbar wurde, nicht nur jene, bei denen konkret Gewalt angewandt oder angedroht wurde. Ein unerwünschter, nicht auf gegenseitigem Einverständnis beruhender Kuss ist damit strafrechtlich ebenso relevant wie etwa ein Schlag auf das Gesäß eines Kollegen oder einer Kollegin auf der Firmenweihnachtsfeier.

Eine längst überfällige Reform des Sexualstrafrechts

Selbst Vergewaltigungen, bei denen sich das Opfer nicht körperlich zur Wehr gesetzt hat beziehungsweise setzen konnte, weil es etwa unter Drogen stand oder sogar ohnmächtig war, sind seit der Reform von 2016 nun strafbar. Das gilt ebenso für den neuen Straftatbestand der sexuellen Belästigung. Besonders dieser Bereich wird heute, Jahre nach der Verabschiedung des Strafrechts, von vielen Seiten als Erfolg bezeichnet. Paragraf 184i sorge für mehr Stabilität und sei unproblematisch anwendbar, so einige Experten des deutschen Straf- und Prozessrechts.

Allein 2019 habe es auf Basis dieses neuen Straftatbestands 1.519 Verurteilungen gegeben. Vor der Reform 2016 wären die Täterinnen und Täter höchstwahrscheinlich straffrei geblieben. Da zahlreiche Verstöße im öffentlichen Raum stattfinden, sind diese, etwa durch anwesende und unparteiische Zeugen, in vielen Fällen relativ unproblematisch nachweisbar.

Doch während die Zahl der Ermittlungsverfahren aufgrund Verletzung der sexuellen Selbstbestimmung recht deutlich gestiegen ist – bis 2019 waren es fast 20.000 mehr – hat sich die Anzahl der Verurteilungen nur geringfügig erhöht. 2019 waren es etwas mehr als 3.500 Verurteilungen. Die Dunkelziffer gilt in solchen Fällen nach wie vor als äußerst groß. Laut Schätzung diverser Studien werden nur knapp 13 Prozent aller Vergehen auch wirklich angezeigt, nur weitere neun Prozent dieses Anteils würden am Ende auch wirklich zu einer Verurteilung vor Gericht führen.

Nach wie vor können sich einzelne Täter leider also relativ sicher fühlen, da die Wahrscheinlichkeit eines Ermittlungsverfahrens oder gar einer Verurteilung am Ende relativ gering ist. Daraus ergibt sich zudem eine schwindende Motivation der Opfer, sexuelle Übergriffe überhaupt erst zu melden und zur Anzeige zu bringen – ein Teufelskreis.

Mangelnde Erfahrung und Feingefühl im Kampf gegen Sexualdelikte

Nichtsdestotrotz wird „NEIN heißt NEIN“ schon allein für seinen deutlichen Symbolcharakter begrüßt. Die Sensibilität gegenüber sexuellen Belästigungen und vergleichbaren Übergriffen sei deutlich gestiegen. Doch heikel und kompliziert wird es dann, wenn vor dem Nein ein Vielleicht oder gar ein Ja stand, etwa dann, wenn ein vorheriges gegenseitiges Einverständnis von einer Seite auf einmal wieder zurückgenommen wird. Gerade bei zwei Parteien, die sich nahestehen und schon länger kennen, können die Trennlinien hier schnell verschwimmen. Oftmals bleiben nur Befragungen, an deren Ende dann letztlich Aussage gegen Aussage stehen.

Gerade in solchen Fällen kommen oftmals erschwerend in Bezug auf Traumata nach sexuellen Übergriffen mangelhaft geschulte Polizeifachkräfte, Ermittler, Anwälte oder Richter hinzu. Traumareaktionen wie etwa das Erstarren in Schockreaktionen, welche etwa den bewussten, aktiven Widerstand eines Opfers einschränken oder gar verhindern können, sind in vielen Fällen nicht bekannt oder werden kaum beachtet. So kam es zu Fällen, in welchen ein Täter freigesprochen wurde, weil sich das Opfer nicht ausreichend und rechtzeitig zur Wehr gesetzt habe.

Ein wichtiger Prozess mit Verbesserungsbedarf

Man kann zusammenfassen, dass die Reform des Sexualstrafrechts 2016 ein in vielen Aspekten überfälliger, wichtiger und notwendiger Schritt in die richtige Richtung war, nämlich Opfer zu schützen, ihnen rechtliche Handhabe zu geben und Täter härter sowie einfacher zu bestrafen oder idealerweise schon im Vorfeld abzuschrecken. Doch ebenso wird deutlich, dass es noch viele Stellen gibt, an denen schnellstmöglich und gründlich nachgebessert werden muss, ob bei der Forschung, der Zuordnung von Ressourcen für entsprechende Beratungsstellen, besserem Equipment oder verpflichtenden Schulungen für die Polizei.

Anpassungen und Verbesserungen an der einen Stelle bedeuten oftmals leider auch neue Schwachstellen und Ausnutzungspotenziale an einer anderen, weswegen weiterhin am aktuellen Sexualstrafrecht gearbeitet werden sollte.

 

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