Zwangslandung in Belarus gefährdet Beziehungen zur EU

Die erzwungene Landung einer Ryanair-Maschine in Minsk ist eines der zentralen Themen auf dem heute beginnenden EU-Sondergipfel in Brüssel. Die Aktion des belarussischen Machthabers Alexander Lukaschenko ist ein weiterer Eingriff in die Freiheitsrechte von Bürgern in einer langen Reihe von Verstößen, durch die die Gefahr wächst, die wirtschaftlichen und politischen Beziehung zwischen Belarus und der EU nachhaltig zu beschädigen.

Das Flugzeug, das auf seiner Route von Athen nach Vilnius war, wurde am Sonntag wegen einer angeblichen terroristischen Bedrohung von einem Kampfjet zur Landung gezwungen. Angeblich läge eine Bombendrohung vor, weshalb die mit 170 Passagieren besetzte Maschine zunächst beidrehen sollte, um dann, von einem Kampfjet eskortiert, zu landen.

Auf dem Flughafen von Belarus erfolgte dann die Verhaftung des im Exil lebenden Journalisten und Bloggers Roman Protasewitsch, der sich zuvor durch regimekritische Veröffentlichungen als entschlossener Gegner von Alexander Lukaschenko profiliert hatte.

EU stuft den Vorfall als inakzeptabel ein

EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen bezeichnete die Geschehnisse in Belarus als inakzeptablen Vorfall und eine Verletzung internationaler Verkehrsregeln. Der Vorfall müsse Konsequenzen nach sich ziehen, wobei Art und Umfang zunächst ungenannt blieben. Der gemeinsame Aufruf von Ursula von der Leyen und EU-Außenbeauftragtem Josep Borrell, der Maschine die Weiterreise zu ermöglichen, war mittlerweile erfolgreich.

Alexander Lukaschenkos Vorgehen sorgte auch für massive Kritik aus Einzelstaaten der EU. So bezeichnete Griechenlands Ministerpräsident Kyriakos Mitsotakis das Vorgehen des weißrussischen Präsidenten als „beispiellos und schockierend“.

Gitanas Nauseda, Präsident von Litauen, sprach von einer „abstoßenden Aktion“ und setzt auf eine gemeinsame Antwort der westlichen Länder. Der litauische Außenminister Gabrielius Landsbergis berichtet von einem Gespräch mit Philip Reeker, amtierender US-Staatssekretär für europäische und eurasische Angelegenheiten, in dem die Möglichkeiten einer „starken transatlantischen Reaktion“ zur Sprache gekommen waren.

Auch aus den USA kommt scharfe Kritik am Vorgehen des belarussischen Präsidenten. Aus Sicht von US-Außenminister Antony Blinken habe das weißrussische Regime mit der Zwangslandung das Leben von 120 Passagieren gefährdet, darunter auch Bürger der Vereinigten Staaten. Im Gegensatz zu den europäischen Reaktionen fordert der amerikanische Außenminister auch die sofortige Freilassung von Roman Protasewitsch.

Betonung liegt auf der Beeinträchtigung des Flugverkehrs

Die Reaktionen aus Deutschland legen den Schwerpunkt vor allem auf die Auswirkungen auf den Flugverkehr, die die Zwangslandung nach sich zieht. Sowohl Norbert Röttgen als auch CDU-Parteichef und Kanzlerkandidat Armin Laschet beziehen sich bei ihren ersten Verlautbarungen vor allem auf den Luftverkehr, so beispielsweise in Armin Laschets Tweet: „Wenn Belarus die Freiheit der zivilen Luftfahrt bei einem Flug zwischen zwei Mitgliedstaaten der Europäischen Union bedroht, muss sich der Europäische Rat mit Konsequenzen befassen.“

Nicht zur Sprache kommen in den bisherigen Erklärungen die Konsequenzen, die sich aus der gewaltsamen Entführung des Journalisten Roman Protasewitsch ergeben. Abgesehen von einer Forderung von Ursula von der Leyen fehlen angesichts des bekannten Vorgehens der belarussischen Regierung gegen regimekritische Personen bisher weitere Forderungen nach der Freilassung des Bloggers.

EU als zahnlose Löwe?

Die Kritik an der EU wegen fehlender politischer Entschlossenheit findet angesichts der aktuellen Ereignisse in Belarus neue Nahrung. Bereits in der Vergangenheit hielten Kritiker der EU mangelnden Nachdruck beim Aussprechen von Sanktionen gegen Belarus vor.

Selbst nachgewiesene Menschenrechtsverletzungen und Wahlfälschungen konnten die EU-Politiker nicht zu einem schnellen und entschlossenen Vorgehen veranlassen. Die Reaktionen kamen stark verspätet und ließen bei der Konsequenz der eingeleiteten Schritte deutliche Mängel erkennen.

Der bis morgen andauernde EU-Gipfel wird demnach auch zu einer Bewährungsprobe der EU als ernstzunehmende politische Kraft. Gelingt es nicht, eine entschlossene Haltung gegenüber der Diktatur in Belarus einzunehmen, dürfte die Stellung der EU in der Staatengemeinschaft ernsthaft und langfristig Schaden nehmen.