Wie viel Scheitern ist gesund? – Jack Nasher im Gespräch über Start-up-Culture, Fehlschläge und sportliches Gründer-Mindset

Jack Nasher ist Verhandlungsexperte, Wirtschaftspsychologe und Bestseller-Autor. Seine Bücher über Verhandlungs- und Kommunikationspraxis verhelfen abertausenden Menschen zu mehr Erfolg im Beruf und Privatleben. Aber auch Nasher ist nicht mit Erfolg auf die Welt gekommen. Für den Aufbau seiner Unternehmen musste er Gewerbe auf dem Papier gründen, nur um sie gleich wieder in den Papierkorb zu schmeißen. Wie man bei (Miss-)Erfolgsgeschichten die Nerven behält, darüber haben wir uns mit ihm unterhalten.

Managerblatt: Herr Nasher, Sie sind Verhandlungsexperte: Warum haben Sie sich den Weg zum Top-Unternehmer nicht einfach ohne Umwege am Verhandlungstisch verschafft?

Jack Nasher: Der Verhandlungstisch hat in meiner Laufbahn sicher oft eine Rolle gespielt, aber als Einzelunternehmer ist der hauptsächliche Verhandlungspartner vor allem man selbst. Verhandelt wird erst wenn man ein Produkt hat, das den Bedürfnissen des Kunden entspricht.  Man muss sich darauf einstellen, ein paar Mal an den Notwendigkeiten vorbeizuarbeiten, bevor man das richtige Angebot für die jeweilige Nachfrage schafft.

Managerblatt: Professuren, Bücher, eine Verhandlungs-Academy, Beratungsangebote, dazu regelmäßige Vorträge, Workshops und andere Events: Ihr Produkt-Portfolio ist heute sehr konsistent in Richtung Ihres USPs ausgerichtet. Haben Sie auf Ihrem Weg auch in anderen Bereichen unternehmerisch Erfahrungen gesammelt?

Jack Nasher: Jein. Ich habe vor über zwanzig Jahren als Schüler einen Online-Juweliershop namens „stigmania“ für Heraldik-Schmuck betrieben. Der Erfolg blieb in überschaubaren Grenzen. Das Ganze war nicht viel mehr als ein gründerisches Anfänger-Projekt. Die Idee war ehrgeizig: wir wollten Markenlogos ersetzen – Polo oder Lacoste – mit einem eigenen Logo für jeden Kunden. Erst sollten es kunstvolle Initialen sein, aber dann dachten wir, dass Wappen eleganter sind und die Dinge dann von der ganzen Familie verwendet werden können. Unser Slogan war: „Setzen Sie Zeichen. Ihr Zeichen.“

Als Akquise-Tool hatten wir Verträge mit Heraldikern, die für Kunden Wappen erstellten. Das ist in Deutschland möglich – anders als etwa in England, wo ein Wappen verliehen wird. Aber die meisten hatten schon ein Wappen.

Was mich immer noch wurmt ist, dass wir damals – ungefähr 1996 – unzufrieden waren mit den Zahlungsanbietern und kurz überlegten, einen online Zahlservice (vor PayPal!) zu gründen. Das war uns leider zu kompliziert. Tja…

Außerdem habe ich zeitweise meiner damaligen Freundin beim Aufbau einer Art Social Community für christliche Internetnutzer geholfen, tatsächlich aber rein auf dem Papier: „Christbook“ hat genau eine Pressemitteilung geschafft, davon ab gab es keinerlei Aktivität, vor allem keine wirtschaftliche – das Unternehmen existierte nicht einmal im Handelsregister. Sie war ein wenig religiös, ich überhaupt nicht, und war eigentlich nur fasziniert von einer Zufälligkeit: Facebook wuchs gerade und meine Freundin fand heraus, dass „Christbook“ ein englischer Begriff für „Bibel“ ist. So war die Idee für ein Facebook für Christen geboren – und gestorben.

Managerblatt: Welchen Einfluss hatten die ersten unternehmerischen Schritte für Ihren Werdegang?

Jack Nasher: Wie gesagt, man darf diese Projekte nicht überschätzen, wobei es als Schüler tatsächlich – wie alles in diesen Lebensphasen – auch eine emotionale und persönlichkeitsprägende Qualität hatte. Man hängt sich kurzzeitig rein, dann kommt das nächste Thema um die Ecke. Zumal ich ja immer auf sehr vielen beruflichen, akademischen und vielen anderen Schauplätzen aktiv war.

Managerblatt: Wie haben Sie damals den ausbleibenden Erfolg einer Ihrer ersten Unternehmungen verarbeitet?

Jack Nasher: Rückblickend betrachtet kommt es mir so vor, als wäre es nicht besonders bewegend gewesen, aber da mag die Abgeklärtheit einer entfalteten Unternehmerbiografie aus mir sprechen. Ich habe der Sache aber auch keine großen Tränen nachgeweint. Stigmania hatte mir zeitweise ein nettes Nebeneinkommen beschert und wir haben es dann einfach auslaufen lassen. Aber sogar, wenn ich hier komplett auf die Nase gefallen wäre, bin ich jemand, der sich vielleicht mal ärgert, aber dann wieder aufsteht. Ausbleibender Erfolg ist eine Ressource, kein Makel. „Als weiter!“, wie man in Hessen sagt.  Das Unternehmerleben kann früh beginnen und bis ins höchste Alter gehen. Es ist viel Zeit dafür, Erfahrungen zu sammeln, Fehler zu machen, Unternehmen an- und wieder abzumelden. Niemals aufgeben, was Dienen Erfolg angeht. Aber einzelne Projekte soll man unbedingt aufgeben – reite bloß keinen toten Gaul!

Managerblatt: Sie sind durch Ihre Verhandlungs-Expertise ja gewohnt, Menschen mit Rat zur Seite zu stehen, die eine entsprechende Toleranz-Veranlagung nicht auf ihrer Seite wissen: Was würden Sie Gründern empfehlen, die sich mit dem Loslassen schwerer tun?

Jack Nasher: Ich halte es so, wie ich es auch bei Verhandlungssituationen empfehle: Auf die Alternativen kommt es an. Die menschlichen Emotionen richten sich nach dem Greifbaren: Wenn alle Optionen auf eine Karte gesetzt wurden, ist ein Misserfolg in diesem einen Bereich fatal. Die ganze eigene Kraft liegt auf dem Ausgang dieser einen Sache. So ist aber das Leben, vor allem das unternehmerische, nicht konstituiert: Dinge gehen schief, oft aus unverschuldeten, manchmal rein zufälligen Gründen. Ja, Fokus ist eine feine Sache. Aber wenn man auf das Zweit- oder Drittprojekt bereits so gespannt ist, dass man am liebsten mehr Zeit dafür hätte, dann trifft es einen ganz anders, wenn das Erstvorhaben in die Binsen geht. Die Vorteile dieser Strategie entfalten sich übrigens auch weitgehend unabhängig davon, was für ein Typ Mensch beziehungsweise Unternehmer man selbst ist. Die Ruhe und Gelassenheit, im Hintergrund jederzeit umstellen zu können: Diese Freiheit erreicht selbst von Natur aus pessimistische Geister, ohne dafür aktiv am eigenen „Mindset“ arbeiten zu müssen. Der beste Plan „B“ ist übrigens Bildung. Politiker, die keinerlei Berufsqualifikation haben – ich möchte hier nicht einzelne Parteien hervorheben – kleben oft peinlich verkrampft an ihren Posten im Gegensatz zu solchen, die nach einem Amt direkt als Rechtsanwälte oder Landwirte arbeiten können.

Managerblatt: Das heißt, man soll nicht nur probieren, sondern doppelt probieren?

Jack Nasher: Hohe Ziele zu erreichen, also Unternehmertum auf die ein oder andere Weise, ist harte Arbeit. Das Internet ist heute voll mit Versprechungen, erfolgreich zu werden, ohne dafür arbeiten, riskieren, versuchen zu müssen. Das ist natürlich für jeden halbwegs Erwachsenen sehr durchsichtig, dass es dabei oft um die Vermarktung eigener Produkte, nicht um geeignete Vermittlung von Erfahrung geht. Richtig ist, dass man als Unternehmer kaum mit einem einzigen Projekt den Zahn der Zeit treffen wird. Wer also immer eine Schippe drauflegt, wenn es schwierig wird, der trainiert die eigene Fähigkeit, mit Druck, Veränderung, Konflikten und Herausforderungen produktiv und, wie man so schön sagt, pro-aktiv umzugehen. Das ist mehr als nur eine Lebenshaltung, es geht um ein eigenes Ethos, um eine eigene Definition darüber, wie man leben und arbeiten möchte. Menschen reagieren komplett anders auf Schmerz, wenn sie Entwicklungen als Herausforderung erleben. Dieses Mindset kann man aber besser realisieren, wenn man auf verschiedenen Spielflächen aktiv ist. Es mag banal klingen, aber dahinter steht eine völlig andere Auffassung von Arbeit, Unternehmertum und Erfolg.

Managerblatt: War Ihre Karriere, die Sie in Anstellung vollzogen haben, auch Teil einer solchen Plan-B-Strategie?

Jack Nasher: Meine eigene Laufbahn war durchweg von Alternativszenarien geprägt. Natürlich war das nicht immer bloß strategischer Natur, sondern auch teilweise einfach eine Entwicklung anhand meiner Interessen. Meine akademischen, beruflichen und unternehmerischen Aktivitäten gingen Hand in Hand und ergänzten sich dann auf eigentlich überraschende Weise. Das hatte in erster Linie damit zu tun, dass ich mir immer klar darüber war, dass eine vielseitige Ausbildung, Qualifikation, umfassende Referenzen, viele Berufsstationen in renommierten Organisationen am Ende schlichtweg vorteilhaft sind. Ein großer Teil der Glaubwürdigkeit meiner Arbeit mit dem NASHER-Institut kommt daher, dass ich die Geschäfts- und Nicht-Geschäfts-Welt von vielen Seiten kenne. Und diese vielen Einflüsse hatten natürlich auch immer den Effekt, dass ich nicht nur in einem Bereich aktiv war. Es wäre gar nicht möglich gewesen. Ich hatte also immer die Möglichkeit, das Terrain zu wechseln oder jedenfalls für frischen Input zu sorgen. Das hat dabei geholfen, in den einzelnen Feldern aktiv zu bleiben und immer einen frischen Kopf zu behalten. Mit der Zeit haben sich Synergie-Effekte eingestellt, die ich als junger Mann hätte gar nicht in der Form antizipieren können. Das ist ein weiterer maßgeblicher Vorteil dieser Vorgehensweise: Man entwickelt über lange Zeiten kontinuierlich verschiedene Fähigkeiten, gewinnt Erkenntnisse, die sich teilweise erst nach Jahren zusammensetzen, oft dann aber schlagartig. Die Folge sind massive Entwicklungssprünge und Fähigkeitskombinationen, die der Wettbewerb so nicht aufbringen kann. Nach Jahren teilweise kreuz- und querlaufender Lebensabschnitte konnte ich die Dinge unter gemeinsamen Ideen wie Verhandlungs- und Kommunikationspsychologie zusammenbringen.

Managerblatt: Eine Frage zum Abschluss: Welche Empfehlung würden Sie dem Schüler geben, der damals seine ersten Anläufe genommen hat?

Jack Nasher: Die wenigsten Dinge auf der Welt sind irreversibel, auch nicht die, die einem besonders wichtig erscheinen. Ganz entspannt bleiben! Ändere die Richtung, wenn Du im Kreis läufst und höre niemals auf, Dich weiterzuentwickeln.

Managerblatt: Vielen Dank für das Gespräch!