Verhandeln in Zeiten der Pandemie – Ein Interview mit Experte Jack Nasher

Jack Nasher gilt als renommiertester Verhandlungsexperte im deutschsprachigen Raum. Auf seinen Rat hören die Menschen, er erklärt verständlich und dennoch aus der Tiefe fachlicher Erfahrung. Vor allem lebt er die Empfehlungen, die er gibt. Sein Auftreten, seine Körpersprache, seine Rhetorik wirken authentisch und greifbar. Wir haben mit Jack Nasher gesprochen, und zwar über die Auswirkungen der nun schon seit zwei Jahren andauernden Corona-Krise auf das Verhandeln: Durch veränderten Marktdruck, angepasste Homeoffice-Konditionen, geringere Mobilitätsdynamik, Lieferengpässe, Inflation und viele andere Faktoren ist das Verhandeln für Menschen möglicherweise ganz anders geworden. Wir haben beim Experten Jack Nasher nachgefragt.

Herr Nasher, vielen Dank für Ihre kurzfristige Zusage zum Gespräch. Kommen wir gleich zur Sache: Es ist für Arbeitnehmer schwieriger geworden, sich auf dem Corona-Arbeitsmarkt zu behaupten. Wie geht man mit der neuen Situation um, um sich nicht übervorteilen zu lassen?

Ja, einige Bereiche leiden, die meisten aber brummen wie nie zuvor. Dort halten die Arbeitnehmer die besten Karten in der Hand. Bewerber haben immense Verhandlungsmacht – es gibt viel zu wenige. Assessment Center etc. sind so gut wie überall abgeschafft, weil man froh ist, wenn es drei Bewerbungen zu einer Position gibt. Die Verhandlungsmacht ist damit tatsächlich exorbitant.

Interessant. Ist es klug, die Situation selbst zum Thema eines Verhandlungsgesprächs zu machen?

Es ist immer besser, Dinge klar anzusprechen als in Unsicherheit und Angst zu leben. Ich empfehle so gut wie immer den Win-Win Ansatz, bei dem beide Verhandlungspartner voneinander profitieren. Gerade in langfristigen Beziehungen am Arbeitsplatz ist das sogar der einzig praktikable Ansatz, schließlich möchte man jahrelang gedeihlich miteinander auskommen.

Perspektivwechsel: Wie sieht es auf Seiten der Unternehmer und Arbeitgeber aus? Wie verhandelt man dort, um sich nicht dem Vorwurf auszusetzen, unsozial zu agieren oder gar aus der Situation Vorteile zu ziehen?

Hier sieht es genau so aus wie von der anderen Seite: beide Parteien müssen langfristig zufrieden sein. Daher empfehle ich auch von Arbeitgeberseite Transparenz und dass man die Karten offen auf den Tisch legt. Übrigens empfiehlt sich das bei den meisten Verhandlungen. Schlechte Verhandler halten ihre Karten nah an der Brust, damit der andere auch bloß nicht weiß, was sie wirklich wollen. Eine Verhandlung ist aber kein Pokerspiel: viel besser ist es, von Anfang an klar Schiff zu machen und seine Interessen zu kommunizieren.

Erleben Sie auch im Hinblick auf die Situation von Endverbrauchern eine Veränderung? Müssen sich Kunden gegenüber Anbietern jetzt anders durchsetzen als vor Corona? Wenn ja: Wie ist man dabei erfolgreich?

Verhandlungstechniken nutzen die Grundprinzipien der menschlichen Kommunikation. Sie verändern sich nicht, auch nicht mit einer Krise. Die effektivsten Verhandlungstechniken wie Ankern, Framing, interessenbasiertes Verhandeln etc. funktionieren genauso wie vorher, aber man muss sie immer der Situation anpassen. Das kann man dann, wenn man ein tiefes Verständnis für die Techniken hat.

Gibt es für eine solche Situation denn eigentlich historische Präzedenzfälle? Wie haben die Menschen in früheren Krisen verhandelt?

Krisen haben immer Gewinner und Verlierer. Wie die alten harten Börsianer sagen: Geld wird verdient, wenn das Blut in der Straße fließt. Die einen bluten, die anderen feiern. Vorwerfen kann man das niemanden, wir alle feiern gern. Aber das zeigt sehr deutlich, wie dynamisch das Konzept von Verhandlungsmacht ist. Die Welt dreht sich: manche haben nun viel mehr Verhandlungsmacht, anderen geht es miserabel.

Verhandlungen per Video-Konferenz: Haben Sie dafür Empfehlungen?

Bei online Verhandlungen empfehle ich zum einen nicht zu multitasken: der andere merkt, wenn sie nicht 100 % bei der Sache sind, so wie Sie das ebenfalls merken. Gönnen Sie sich eine gute Webcam, die nicht nur Ihren Kopf filmt, Sie sehen sonst aus wie ein sprechender Kürbis. Und schließlich: blicken Sie in die Kamera: nur so hat der andere das Gefühl, Sie schauen ihm oder in die Augen.

Was wünschen Sie sich persönlich für die nähere Zukunft und den Austausch der Menschen untereinander?

Ich denke, dass viele live Verhandlungen unnötig waren. Man muss nicht für die 34. Verhandlungsrunde, die vielleicht nur eine halbe Stunde dauert, 12 Stunden in die USA fliegen. Hier hat sicher ein Umdenken stattgefunden. Aber nur zu Hause sitzen möchte auch keiner. Insofern freue ich mich auf live Verhandlungen aber eben nur, wenn sie wirklich sinnvoll sind.

Vielen Dank für das offene Gespräch!

 

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