Türkei ächzt unter fast 70 Prozent Inflation
Die massive Inflation in der Türkei nimmt weiter Fahrt auf. Alleine im April lag der Anstieg der Verbraucherpreise gegenüber dem Vormonat bei fast 70 Prozent, so die Verlautbarung des türkischen Amts für Statistik in Ankara. Damit ist die monatliche Inflation gegenüber dem März mit 61 Prozent um mehr als zehn Prozent angewachsen.
Mit den Auswirkungen von Corona und Ukraine-Krieg alleine lässt sich die massive Teuerungsrate am Bosporus nicht erklären. So lag die Inflationsrate für April in Deutschland bei 7,4 Prozent – einem Land, das massiv von den Erdgas-Importen aus Russland abhängig ist.
Dramatische Auswirkungen auf die Erzeugerpreise
Noch drastischer als bei den Verbraucherpreisen zeigen sich die Inflationseffekte in der Produktion. So stiegen die türkischen Erzeugerpreise im April gegenüber dem Vormonat um mehr als 120 Prozent, nach einer Steigerungsrate von 115 Prozent im Vormonat.
Da die Erzeugerpreise in der Regel mit ein oder zwei Monaten Verzug auf die Verbraucherpreise durchschlagen, ist in der Türkei für die nächste Zeit mit weiteren massiven Preissteigerungen im Konsumbereich zu rechnen.
Zusammenwirken mehrerer Ursachen treiben die Hyperinflation an
Die drastische Teuerungsrate in der Türkei speist sich aus einer Reihe destruktiver Effekte, allen voran die seit einiger Zeit andauernde Schwäche der Landeswährung Lira. Sie sorgt schon seit Längerem für schmerzhafte Teuerungsraten bei den Importen.
Die Situation hat sich durch die anhaltenden Störungen in den internationalen Lieferketten verschärft. Sie haben nicht nur zu Produktionsausfällen, sondern auch zu spürbaren Preisanstiegen bei den Vorprodukten geführt. Hinzu kommt eine allgemeine Preisrallye bei den Rohstoffen, vor allem beim Benzin, zuletzt verstärkt durch die russische Offensive in der Ukraine. Allein das hat die Preise im nationalen Transportsektor um fast 106 Prozent in die Höhe schießen lassen.
Geldpolitik der Zentralbank trägt Mitschuld an der Hyperinflation
Dass der Kursrutsch des Lira einen so hohen Anteil an der massiven Teuerungsrate hat, ist nicht zuletzt auf die Währungspolitik der türkischen Notenbank zurückzuführen. Die von ihr auf den Weg gebrachten Zinssenkungen haben die nationale Währung für Investoren uninteressant werden lassen.
Problematisch ist zudem, dass in dem autoritär geführten Land die Zentralbank nicht ungehindert autonom agieren kann. Da sich Präsident Recep Erdogan in der Rolle eines Niedrigzins-Pioniers gefällt, sind der Zentralbank die Hände gebunden, wenn es um angemessene Maßnahmen gegen die galoppierende Inflation geht. Der Staatspräsident steht bisher noch immer zu seiner Politik der niedrigen Zinsen, um so die Konjunktur anzukurbeln.
Wenig Produktives von Regierungsseite
Entsprechend der Vorgaben des autoritären Landesführers vermitteln die Verlautbarungen auf Regierungsebene wenig Hoffnung auf Besserung. Zwar ist von einem neuen Wirtschaftsprogramm die Rede, mit dem das Land die Hyperinflation in den Griff bekommen will. Doch basiert dieses weiterhin auf niedrigen Zinssätzen, um Exporte und Produktion zu fördern.
Der Leitzins in der Türkei steht seit Ende 2021 bei 14 Prozent – nach Meinung vieler Experten zu niedrig, um der Teuerungsrate Herr zu werden. Erstes Gebot wäre eine spürbare Anhebung, um die Landeswährung wieder attraktiver für Investoren zu machen. Dafür gibt es gute Gründe: Allein im vergangenen Jahr hat die Lira rund 44 Prozent ihres Wertes gegenüber dem Dollar verloren.
Die türkische Notenbank geht davon aus, dass die Inflationsrate im Juni ihren Höhepunkt erreichen wird. Weniger optimistisch ist die Einschätzung internationaler Wirtschaftsexperten. Sie rechnen mit einem Anhalten der überdurchschnittlich hohen Inflationsrate bis mindestens Ende 2022. Eine von Reuters durchgeführte Umfrage bei Ökonomen in verschiedenen Ländern ergab für 2022 die Erwartung einer durchschnittlichen türkischen Teuerungsrate von 52 Prozent.