Supermarktkette Jumbo testet die Chat-Kasse

Mehrere Supermarktketten weltweit testen derzeit Systeme, die die Wartezeiten an den Supermarktkassen deutlich verringern oder ganz vermeiden sollen. Der niederländische Handelskonzern Jumbo setzt das genaue Gegenteil um: In 125 seiner 700 Filialen gibt es auch Kassen, an denen es ganz besonders langsam vorangeht. Die Akzeptanz ist überraschend gut.

Wenn es an der Supermarktkasse wieder einmal hakt, liegt das nicht selten an den älteren Mitbürgern, die sowohl beim Einpacken als auch beim Bezahlen mehr Zeit benötigen. Doch nicht immer sind es biologische Alterserscheinungen, die den Kassenprozess verlangsamen – es gibt auch eine soziale Komponente, der Jumbo jetzt Rechnung tragen will.

Die Supermarktkasse als sozialer Brennpunkt

Mit der “Kletskassa”, übersetzt etwa “Plauderkasse”, will Jumbo eine Käuferschicht ansprechen, die in Supermärkten gerne übersehen wird: ältere Mitbürger, die unter starker Vereinsamung leiden. Für sie ist der Besuch des Supermarkts nicht einfach nur ein Vorgang, um sich mit Lebensmitteln und Non-Food-Artikeln zu versorgen. Für viele Senioren ist der Aufenthalt im Markt die einzige Gelegenheit am Tag, um soziale Kontakte zu pflegen.

Untersuchungen haben gezeigt, dass ältere Menschen den Bezahlvorgang an der Supermarktkasse nicht selten bewusst verlangsamen, um auf diesem Weg ein paar Worte mit der Kassenkraft oder anderen Kunden wechseln zu können. Dadurch entsteht ein funktionaler Konflikt zwischen zwei Käuferschichten: auf der einen Seite der eilige Kunde, der nach dem Kauf den Markt so schnell wie möglich verlassen will, auf der anderen Seite einsame Menschen, die sich nach Ansprache und Zuwendung sehnen.

Plauderkasse: eine kleine Oase im Lebensmittelmarkt

Jumbo will mit der Kletskassa zwei Dinge gleichzeitig erreichen: eine deutliche Beschleunigung des Kundendurchsatzes an den normalen Kassen und einen Ort für Kunden mit mehr Zeit, die den Einkauf mit ein wenig Geselligkeit verknüpfen wollen. Dem will der Lebensmittelhändler mit der speziellen Kasse Rechnung tragen.

Das besondere Angebot von Jumbo kommt nicht von ungefähr. Das Programm steht in Verbindung mit der Initiative gegen Einsamkeit der niederländischen Regierung. Wie in den meisten anderen Ländern wächst auch in Holland die Einsamkeit vor allem bei älteren Menschen. Dagegen will die Regierung angehen, auch durch die Förderung von Initiativen im Einzelhandel.

Der Supermarkt als Seniorenzentrum

Dass es bei den Plauderkassen alleine nicht bleiben soll, belegen weitergehende Initiativen bei Jumbo. So gibt es in einigen Filialen mit dem nötigen Platzangebot eigene Chat-Ecken. Sie sind dazu vorgesehen, dass sich insbesondere ältere Anwohner des Marktes informell bei einer Tasse Kaffee treffen und miteinander plaudern können – auch ohne Einkauf.

Dass die Chat-Ecke und die Plauderkasse keine Alibiveranstaltung zu Marketingzwecken sind, beweist Jumbo durch die Konsequenz bei der Durchführung. So stehen eigens geschulte Mitarbeiter bereit, die für Gespräche mit den Kunden zur Verfügung stehen und auf deren Wünsche und Bedürfnisse eingehen. Nach Firmenangaben sollen die so geschulten Mitarbeiter bei Bedarf sogar in begrenztem Umfang therapeutisch auf ihre Gesprächspartner einwirken können.

Jumbo will den gesellschaftlichen Stellenwert des Supermarkts stärken

„Unsere Läden sind für viele Menschen ein wichtiger Treffpunkt”, sagt dazu Jumbo-Miteigentümerin Colette Cloosterman-van Eerd. “Wir wollen unseren Beitrag dazu leisten, Einsamkeit zu erkennen und zu reduzieren – gerade in einer Welt, die sich digitalisiert und beschleunigt.”

Bis Jahresende will Jumbo 200 Filialen mit einer Kletskassa oder einer Chat-Ecke ausgestattet haben. Mittlerweile haben auch andere Supermarktketten damit begonnen, ähnliche Angebote zu testen. Neben einigen Märkten in Frankreich hat auch die Schweizer Migros-Kette ein Pilotprojekt mit langsamen Kassen gestartet. Die Ergebnisse klingen durchaus positiv: Durchschnittlich nutzen zwölf Künden pro Stunde die Plauderkasse.