Sicherheit in Zeiten der Angst und Krisen, des Terrors und Krieges: Ein Austausch mit dem Sicherheitsexperten Yan St-Pierre

Die Nachrichten sind täglich voll davon: Schlagzeilen über Kriege, Anschläge, Geiselnahmen und andere Schreckensmeldungen. Die Sorge vor dem Terror in- und außerhalb von Deutschland wächst bei vielen Menschen stetig weiter.

Wir haben den Terrorismusbekämpfungsberater und Sicherheitsexperten Yan St-Pierre nach seiner Einschätzung zur Entwicklung von Bedrohungen und der Sicherheit in Deutschland gefragt. Yan St-Pierre ist Mitgründer und Geschäftsführer der Modern Security Consulting Group MOSECON GmbH und berät unterschiedliche Akteure in den Bereichen Sicherheitspolitik, Terrorismus und Extremismus sowie Klimaaktivismus.

Guten Tag, Herr St-Pierre!

Herr St-Pierre, Sie arbeiten seit vielen Jahren als Sicherheitsexperte und Terrorismusbekämpfungsberater, haben Ihr Studium an diesen Interessensbereichen orientiert und sich dahingehend fortgebildet, sodass Sie nun eine über fünfundzwanzigjährige Expertise vorweisen können. Welche spezifischen Fähigkeiten und Kenntnisse halten Sie für besonders wichtig in diesem Beruf?

Yan St-Pierre: Anpassungsfähigkeit, Flexibilität und die Fähigkeit, sich zu erneuern. Die Gegner verändern sich stetig und man muss vorahnen und sich immer wieder neu anpassen können. Lassen Sie mich das genauer erläutern. Terroristen erkennen die neuen Herausforderungen und versuchen, einfache Mittel zu nutzen. Bei den Pariser Terroranschlägen 2015 wurden beispielsweise sowohl Bomben als auch Waffen genutzt, wohingegen bei dem Anschlag in Berlin 2016, also ein Jahr später, ein einzelnes Fahrzeug verwendet wurde. Das, was sie gelernt haben, ist, dass auch mit wenig Mitteln ein großer Schaden verursacht werden kann. Denn was für Terroristen sehr wichtig ist, ist die mediale Resonanz und die bekommen sie auch bei Anschlägen mit kleinen Mitteln. Der Echo-Raum spielt eine sehr große Rolle.

Welcher Bereich Ihrer Tätigkeit wird in der heutigen Zeit am meisten in Anspruch genommen? Zu welchem Bereich beraten Sie momentan am aktivsten?

Yan St-Pierre: Unsere Beratung ist für die Konflikte in Afrika, besonders Mali und bei Themen wie dem Islamismus aktuell sehr gefragt. Ebenso zum Rechtsextremismus in der EU, insbesondere in Deutschland – vor allem seit der Ermordung von Walter Lübcke. Klimaaktivismus ist auch ein wichtiges Thema, da es durchaus um die Dynamiken innerhalb des Milieus geht und das Risikopotential für Deutschland. Hier muss sich die primäre Frage gestellt werden, wie gefährlich die Aktivisten sind. Sind es nur Störer oder handelt es sich um eine mögliche „Grüne RAF“? Hier kann man kann aber sagen: Sie bleiben friedlich, auch wenn sie störend sind. Ein weiterer Bereich, mit dem wir uns viel beschäftigen, ist die seit Corona vermehrte Radikalisierung bei Verschwörungstheoretikern und der zunehmende Rechtsextremismus.

Ein Themenbereich, der immer wichtiger wird, ist die Sabotage, da sie eine vielfältige Bedrohung darstellt. Zur Sabotage zählt zum Beispiel auch die Brandstiftung. Hier erkennen wir, dass die Expertise der Saboteure immer größer wird, wodurch die Vielfalt und Qualität der Bedrohung steigen. Insgesamt sind alle Bereiche Dynamiken, die nicht exklusiv sind, sondern ineinander übergehen je nach soziopolitischer Lage.

Und wie gehen Sie in Ihrer Beratung vor, um Strategien individuell und flexibel an die gegebenen Umstände anzupassen?

Yan St-Pierre: Ich lege großen Wert darauf, nicht nur Quellen aus dem Internet zu nutzen. Die Balance aus vor-Ort-Informationen, also von menschlichen Quellen, die den Finger auf dem Puls haben, und Informationen aus der online Welt, zum Beispiel durch OSINT-Analysen gewonnen, ist entscheidend und führt zu den besten Ergebnissen, da dadurch eine kontextabhängige Strategieanpassung ermöglicht wird.

Zuletzt war die Angst vor Terroranschlägen an öffentlichen Orten, wie z.B. dem Kölner Dom zu Silvester sehr präsent. Wie schätzen Sie die Sicherheit in Deutschland aktuell ein? Sind Sie dahingehend in beratender Funktion tätig?

Yan St-Pierre: Die Bedrohung ist seit dem 07. Oktober 2023 erhöht und die allgemeine Lage ist gefährlicher geworden, gerade in Bezug auf den Terrorismus. Das haben wir natürlich bemerkt, aber die Schuld daran liegt nicht nur bei Gaza, sondern auch an der gestiegenen Radikalisierung in Deutschland. Ich berate aktuell viel dazu, wie man mit diesem erhöhten Risiko umgeht. Mit der MOSECON GmbH arbeiten wir hier auch eng mit Partnern zusammen, die zum Beispiel für Zufahrtsschutzkonzepte zuständig sind und diese erstellen.

Können Regierungen und internationale Organisationen besser zusammenarbeiten, um terroristische Bedrohungen zu bekämpfen? Könnten präventive Maßnahmen, wie Aufklärung und Bildung der Gesellschaft in Zukunft eine Rolle in der Terrorismusbekämpfung spielen?

Yan St-Pierre: Fakt ist: Die Zusammenarbeit muss besser werden. Die interne Zusammenarbeit muss ergänzender werden. Das Problem ist, dass jeder versucht, sein Gebiet zu schützen. Terroristen dagegen haben kein Problem damit, mit anderen Parteien zusammenzuarbeiten, um größeren Schaden anzurichten und so sollte es umgekehrt im Kampf dagegen auch laufen.

Präventive Maßnahmen können hilfreich werden, allerdings wird es hier philosophisch, da sich uns eine moralische Frage stellt: Gehen wir davon aus, dass alle Menschen unschuldig sind, bis sie das Gegenteil beweisen oder unterstellen wir allen Menschen etwas Schlechtes und demonstrieren dies, indem wir sie mit zum Beispiel Überwachungskameras überwachen? Das ist eine schwere Frage, die es noch zu beantworten gilt.

Wenn Sie mit Ihrer Expertise einen Rat dazu aussprechen könnten, wie würde dieser lauten?

Yan St-Pierre: Mein Rat an die Regierung: Mut. Mut zum Widerstand, zum Dialog und zur Lösungssuche. Ich möchte dies an einem aktuellen Beispiel näher erläutern, nämlich dem Fall AFD. Die AFD zu verbieten, ist keine Dauerlösung. Die Gesellschaft und Regierung müssen auf Dauer resistent gegen solche Organisationen werden. Dafür sind die Demonstrationen gegen Rechts im ganzen Land schon ein gutes Zeichen. Aber die Gesellschaft muss nachhaltig davon überzeugt werden, was gut und was schlecht ist. Dafür muss man aber erst mal erkennen, was die Leute denn überhaupt antreibt, solch eine Organisation zu unterstützen. Ein Verbot wird die Attraktivität nicht wegnehmen. Radikale müssen isoliert werden.

Der Wille zur Veränderung ist seitens der Regierung gerade aber wenig da. Die politischen Prioritäten liegen woanders und sind in der Regel parteiabhängig. Die Themen Sicherheit, Terror etc. sind emotional, da politisch, aber es müssen langfristig Ergebnisse erzielt werden und das geht nur dann, wenn die Regierung Mut zeigt.

Vielen Dank für das ausführliche Interview, Herr St-Pierre!

 


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