Rüstungsindustrie fordert: Waffen als nachhaltig deklarieren
Zu den härtesten Ausschlusskriterien für nachhaltige Investments gehören neben Suchtmitteln, Kernkraft und unsozialen Produktionsbedingungen die Erzeugnisse der Rüstungsindustrie. Unter dem Eindruck der aggressiven Eroberungsstrategie Russlands gegenüber der Ukraine – und danach möglicherweise noch weiteren Ländern – nutzen Waffenhersteller die Gunst der Stunde, um ihre Erzeugnisse als nachhaltig zu präsentieren. Die Argumentation erscheint allerdings weitgehend wahnwitzig.
“Sicherheit ist die Mutter aller Nachhaltigkeit.” Mit diesem abenteuerlichen Slogan profilieren sich Lobbyisten der Waffenindustrie derzeit mit Verweis auf die Katastrophe der Ukraine-Invasion bei Regierungsvertretern und Fondsmanagern. Die Argumentation dahinter ist waghalsig: Der Schutz der Lebensgrundlagen für nachfolgende Generationen sei ein zentrales Paradigma von Nachhaltigkeit – auch, wenn dieser Schutz mit Waffengewalt eingefordert werden muss.
Waffenlobby nutzt (Un)gunst der Stunde
Das brutale Vorgehen von Russlands Präsident Wladimir Putin und seiner reaktionären Machtklicke soll dem Vorstoß der Rüstungsindustrie Plausibilität und Logik verleihen – so, als wäre absolut garantiert, dass die Erzeugnisse der Waffenhersteller ausschließlich zu defensiven Zwecken zum Einsatz kommen.
Offenbar ermutigt durch die erfolgreiche Lobbypolitik der Nuklearindustrie, die es voraussichtlich durchsetzen wird, dass Kernkraft von der EU als nachhaltige Energiequelle eingestuft wird – wenn auch nur übergangsweise und als Brückentechnologie – sieht nun die Rüstungsbranche Licht am Ende des Tunnels und hofft auf die Akzeptanz von Waffen in ESG-Anlageprodukten.
EU-Klimapolitik vor der Glaubwürdigkeitsprüfung
Die umstrittene Absicht, Kernkraft als nachhaltig zu definieren, hat weltweit bereits zu einem spürbaren Verlust an Glaubwürdigkeit für die europäische Klimapolitik geführt, und das, nachdem Europa in Sachen Umweltschutz und Nachhaltigkeit anfangs eine Führungsrolle hätte übernehmen können. Sollte die Rüstungsindustrie bei der EU-Taxonomie nun auch den Fuß in die Tür bekommen, dürfte es um die Idee eines Europa als Wegbereiter einer klimaneutralen Zukunft geschehen sein.
Nachhaltige Investments nach ESG-Kriterien fußen auf drei Säulen, die durch die drei Buchstaben definiert sind: E für Environment, S für Social, G für Governance, also Unternehmensethik. Entgegen eines weit verbreiteten Missverständnisses müssen ESG-Investments nicht wahlweise eines der drei Kriterien erfüllen – es sind alle erforderlich.
Die Rüstungsindustrie verstößt gleich gegen alle drei Kriterien, unabhängig davon, ob ihre Produkte dem Angriff oder der Verteidigung dienen. Viele ihrer Produkte sind massiv umweltschädlich, so biologische oder chemische Kampfstoffe und an der Spitze der Schreckensskala Atomwaffen, die ganze Landstriche über Jahrhunderte unbewohnbar machen.
Das Hauptargument der Waffenlobby, defensiv eingesetzte Waffen sorgten durch ihre Schutzwirkung für sozialen Ausgleich, ist an Zynik nicht zu überbieten. In der Regel sind es die Produkte eben dieser Industrie, die einen Verteidigungsfall erst erforderlich machen – mit allem Elend und aller Zerstörung, die sie verursachen.
Auch bei der Compliance können Rüstungsunternehmen nach ESG-Maßstäben nicht punkten, wie inklusiv und fortschrittlich die inneren Strukturen auch angelegt sind und wie rigide sich die Antikorruptionsmaßnahmen auch darstellen. Der Geschäftsgegenstand von Rüstungsunternehmen ist die Vernichtung menschlichen Lebens und menschlichen Lebensraums. Und genau da liegt nicht nur der Hund begraben.
Die Chancen erscheinen gering, dass es der Waffenlobby gelingt, ihre Sichtweise in die ESG-Kriterien einzubringen. Weder aus den Sustainable Development Goals der Vereinten Nationen noch aus den aktuellen Taxonomiebestimmungen der Europäischen Union lassen sich Indizien herauslesen, dass Waffen jemals als nachhaltig eingestuft werden könnten. Dennoch ist Wachsamkeit angebracht: Noch vor Kurzem hätte es kaum jemand für möglich gehalten, dass dieses Prädikat jemals der Nuklearindustrie zugebilligt werden könnte.