Mercedes leitet seine Elektrozukunft ein
„Der EQS wurde entwickelt, um selbst die Erwartungen unserer anspruchsvollsten Kunden zu übertreffen“, so die vollmundige Erklärung von Mercedes-Chef Ola Källenius anlässlich der gestrigen Vorstellung des neuen Elektro-Flaggschiffs aus Stuttgart. In der Tat ist das Oberklassefahrzeug mit reinem Elektroantrieb als Kampfansage an Teslas Model S formatiert und soll dessen Daten eigenen Angaben zufolge noch übertreffen.
Mit 520 PS in der stärksten Version und einer Werksangabe von 770 Kilometer Reichweite präsentiert sich der futuristisch gestylte Elektro-Bolide aus Zuffenhausen mit beeindruckenden Werten. Die auf 210 Stundenkilometer abgeregelte Höchstgeschwindigkeit darf dabei als Bekenntnis zu schwäbischer Vernunft gelten.
Die Siegerposition muss Mercedes dennoch wieder an Tesla abtreten: Mit dem jüngst vorgestellten Model S Plaid wuchert der amerikanische Autobauer mit irrwitzigen 1.100 PS, einer angeblichen Reichweite von 880 Kilometern und einer Höchstgeschwindigkeit von 320 Stundenkilometern.
Elektroversion der S-Klasse
Der gestern vorgestellte Elektro-Bolide soll das Format und Prestige der S-Klasse für all diejenigen repräsentieren, die in der Oberklasse auf Elektromobilität wechseln möchten. Das demonstriert das ab August erhältliche Modell auch im Preis: Den EQS wird es zu Preisen ab deutlich über 100.000 Euro geben.
Auch die Dimensionen mit 5,22 Metern Länge und 1,93 Metern Breite platzieren den EQS in der Sektion der S-Klasse. Dennoch setzt der Luxusstromer nicht auf S-Klasse-Technik auf. Vielmehr handelt es sich um ein von Grund auf neu konzipiertes Fahrzeug, optimiert auf die Anforderungen, wie sie Elektromobilität entstehen lassen.
Der EQS ist das erste Modell, das auf der neu entwickelten modularen Elektro-Architektur (MEA) von Mercedes aufsetzt. Das Wesentliche der neuen Architektur ist eine angepasste Auffassung von Proportion in Elektroautos, die auf den geänderten Gegebenheiten beim Platzbedarf für Motor und Batterien fußt und so großzügigere Platzangebote im Innenraum schafft.
Zunächst zwei Versionen
Den EQS wird es zum Marktstart mit zwei Motorvarianten geben. Das Einstiegsmodell EQS 450+ beinhaltet einen 333 PS starken Elektromotor und Heckantrieb. Das bringt den Wagen in 6,2 Sekunden auf 100 Stundenkilometer.
Das Topmodell EQS 580 4MATIC verfügt über einen zweiten Elektromotor für die Vorderachse. Damit schafft er die Beschleunigung von null auf hundert in 4,2 Sekunden. In Vorbereitung befindet sich laut Firmenangaben ein Performance-Modell mit 761 PS. Genauere Daten sind bisher noch nicht bekannt.
Batterien aus eigener Entwicklung
Die von Mercedes selbst entwickelten Lithium-Ionen-Batterien für den EQS zeichnen sich vor allem durch einen geringen Bedarf an Kobalt aus, ein Rohstoff, der nur selten vorkommt. Nach Angaben des Unternehmens ist in der Kathode nur noch ein Anteil von zehn Prozent des wertvollen Grundstoffs enthalten.
Bei den Ladezeiten muss der EQS allerdings einigermaßen kleine Brötchen backen, so wie alle bisher auf dem Markt befindlichen Elektroautos. Zwar glänzt das Elektro-Flaggschiff mit einer maximalen Ladeleistung von 200 Kilowatt. Das versetzt ihn in die Lage, an DC-Schnellladestationen innerhalb 15 Minuten genügend Saft für 300 Kilometer zu saugen. Das Volltanken benötigt allerdings etwas über eine halbe Stunde – keine guten Voraussetzungen für einen mit Terminen und Geschäftsreisen angefüllten Arbeitstag.
Vollgepackt mit innovativer Technik
Wie nicht anders zu erwarten, stellt das Topmodell der zukünftigen Mercedes Elektrowagenflotte das Nonplusultra an fortschrittlicher Technik und höchstem Komfort dar. Auf den ersten Blick sichtbar wird das bei der Hyperscreen – ein über die gesamte Wagenbreite reichendes Display, das alle Bedien– und Entertainment-Elemente enthält.
Nicht sichtbar, aber ebenso innovativ, ist die Vernetzung des Autos. Over-the-air-updates halten die Software im EQS ständig auf dem neuesten Stand, bis hin zum Batteriemanagement. Das erspart den Nutzer*innen so manchen Werkstattbesuch. Interessant sind Mobilfunk-Updates auch aus marketingtechnischer Sicht. So lassen sich zusätzliche, kostenpflichtige Services nachträglich gegen Bezahlung freischalten – auch dies, ohne dafür die Werkstatt aufsuchen zu müssen.
Ein typisches Beispiel für nachrüstbare Eigenschaften ist die Hinterachslenkung. Sie verfügt in der Standardversion über einen Lenkwinkel von 4,5 Grad. Wer auf einen kleineren Wendekreis Wert legt, kann sich einen Lenkwinkel von zehn Grad dazukaufen und mobil einspielen lassen.
Ob sich die Form des Zusatzgeschäfts durch zielgerichtete Reduzierung einer bereits eingebauten Leistung auf Dauer durchsetzt, bleibt abzuwarten.