Kunst – das Sorgenkind der Pandemie

Ohne Lebensmittel, Ärzte oder Arbeitsplätze geht es nicht – ohne Kunst zur Not schon. Diese Einstellung kennzeichnet die Situation der Kunstszene und der in ihrer Existenz bedrohten Künstler in Zeiten von Corona-Lockdowns und Social Distancing auf anschauliche Weise. Kunst ist nicht systemrelevant – so zumindest lautet der vorherrschende Tenor, auch unter vielen Politikern, die oft ebenso kunstfern sind wie ihre Wähler.

Die Kunst– und Kulturszene geht aus dem Jahr 2020 mit stark gerupften Federn hervor. Die Misere ist systembedingt: Selbst die Mutmacherparolen aus den Regierungszentralen machen deutlich, welchen Wert man Kunst und Kultur dort in Wirklichkeit beimisst: Die Szene werde schon kreative Wege finden, um die Durststrecke zu überwinden. Mit anderen Worten: Hilf dir selbst, dann hilft dir Gott.

Verzweiflung als Lösungskonzept

Kulturschaffende und kulturelle Einrichtungen sind in der Pandemie größtenteils auf sich selbst gestellt, über diese Tatsache helfen keine beschönigenden Worte hinweg. Dennoch hat sich die Prognose der Regierenden bewahrheitet – viele Künstler und Kulturschaffende haben ihre Kreativität genutzt, um in Zeiten sozialer Isolation mit dem Publikum in Verbindung zu bleiben. Leider ändert das nicht viel an der prekären Situation, in dem sich die Protagonisten nach wie vor befinden.

In vielen kulturellen Bereichen gibt es neue Formen der Darbietung und Vermittlung. Darunter sind auch Modelle mit einem kommerziellen Ansatz, um die extremen Einkommensausfälle der vergangenen Monate zumindest teilweise aufzufangen. Doch die gelebte Wirklichkeit zeigt: Die meisten Initiativen sind nicht viel mehr als Kosmetik. Eine effektive und den tatsächlichen Gegebenheiten angepasste staatliche Unterstützung können auch die aufwendigsten Projekte nicht einmal ansatzweise ausgleichen.

Bühnendarbietungen im Spannungsfeld von Sicherheit und Öffnung

Die Hilflosigkeit der Politik im Umgang mit Kunst und Kultur lässt sich besonders drastisch im Umfeld von Konzert, Oper und Theater beobachten. Zahlreiche Häuser stehen vor dem Aus, vielfach noch zusätzlich gebeutelt von einer richtungslosen und widersprüchlichen Verordnungspolitik

Gab es zu Beginn noch die Perspektive des Betriebs unter Einhaltung eines Hygienekonzepts, ist heute davon nicht mehr viel zu bemerken. Viele Häuser haben massiv in entsprechende Einbauten und Abläufe investiert – nur, um nun trotzdem vor leeren Zuschauerräumen zu stehen.

Trotzdem haben sich einige Initiativen mit starker Publikumsbeschränkung durchsetzen können. Sie können zumindest zu einem kleinen Teil die Sehnsucht nach Live-Kultur und dem gemeinsamen Kulturerlebnis befriedigen. Was sie nicht können: eine nachhaltige wirtschaftliche Basis etablieren. Kunst bleibt auch trotz vieler aufmunternder Parolen aus dem politischen Lager das Stiefkind des Pandemiemanagements.

Streaming als virtuelle Kulturstätte

Dass sich viele künstlerische und kulturelle Aktivitäten während Corona ins Netz verlagert haben, ist eine naheliegende Entwicklung. Je länger die digitale Diaspora andauert, desto deutlicher treten aber auch ihre Schwächen zutage.

Nichts kann ein gemeinsam erlebtes Konzert ersetzen, das gilt für Pop und Klassik gleichermaßen. Nichts kann die Standing Ovations nach einer begeisternden Opernaufführung wettmachen, wenn sich ein kollektives Glücksgefühl über Künstler und Publikum ausbreitet. Und nichts kann mit der gemeinsam wahrgenommenen Faszination großer Kunst im dreidimensionalen Raum eines realen Museums mithalten.

Natürlich sind virtuelle Konzerte, Opernaufführungen und Museumsbesuche besser als der Totalverlust jeglicher kultureller Initiative. Doch zunehmend wird klar: Das alles sind Ersatzhandlungen, geboren aus der Not einer außergewöhnlichen Zeit. Sie werden das Kunsterlebnis in der wirklichen Welt nicht dauerhaft ersetzen können, weder emotional noch intellektuell. Und nach dem heutigen Stand der Dinge lässt sich auch eine tragfähige wirtschaftliche Basis auf dem Weg der Online-Vermittlung nicht verlustfrei umsetzen.

Der Weg bis zur Aufhebung aller Beschränkungen ist noch lang. In der Zwischenzeit liegt es an Politik und Publikum, Kunst und Kultur nicht als rauchenden Trümmerhaufen aus der Krise hervorgehen zu lassen.