Jeff Bezos sagt das Scheitern von Amazon voraus
Die letzten enttäuschenden Quartalszahlen von Amazon scheinen ein Thema wieder an die Oberfläche zu spülen, das sich bereits seit neun Jahren eigensinnig hält: eine drohende Insolvenz von Amazon. Die Nachricht könnte guten Gewissens als Verschwörungstheorie oder Fake News abgetan werden – würde nicht Jeff Bezos selbst das Thema immer wieder zur Sprache bringen.
Angesichts der Jahrhundertkarriere von Amazon-Gründer Jeff Bezos würde man von dem erfolgreichsten Unternehmer der Neuzeit erwarten, dass er seine Schöpfung in Stein gemeißelt und für die Ewigkeit gemacht wahrnimmt. Nichts davon ist der Fall. Nach Überzeugung des Multimilliardärs haben Mega-Unternehmen wie Amazon eine durchschnittliche Lebenserwartung von 30 Jahren. Pikante Randnote: Amazon wird am 5. Juli 2024 30 Jahre alt.
Jeff Bezos warnt seit 2013
Der erste Donnerschlag ertönte bereits im Jahr 2013, als Jeff Bezos anlässlich eines Interviews in der CBS-Show “60 Minutes” diesen bemerkenswerten Satz fallen ließ: “Firmen haben eine kurze Lebensdauer, und auch Amazon wird es eines Tages nicht mehr geben” – angesichts der 1670 gegründeten Hudson’s Bay Company (HBC), der über 100-jährigen ITT und einer Reihe weiterer amerikanischer Traditionsunternehmen eine bemerkenswert abwegige Sichtweise.
2017 kam es dann zu einem Rundschreiben an die Amazon-Anteilseigner, das bereits spürbar bedrohlicher klang. Von einem quälenden und schmerzlichen Niedergang des Unternehmens Amazon war darin die Rede. Die Hiobsbotschaft verfasste Jeff Bezos angesichts der im eigenen Betrieb festgestellten Stagnation auf unterschiedlichen Gebieten. Sie würde letztendlich dazu führen, dass das Unternehmen irrelevant werde. Gleichzeitig beschrieb der Amazon-Chef Mittel und Wege, wie sich die drohende Stagnation noch abwenden ließe.
Jeff Bezos’ Rede auf der Vollversammlung 2018 stand unter dem Eindruck der Pleite des Handelsriesen Sears, der im Oktober des gleichen Jahres Insolvenz angemeldet hatte – nicht zuletzt wegen der massiven Konkurrenz durch Amazon. Die Rede fand unter Ausschluss der Medien statt. Trotzdem sickerten laut CNBC Teile der Ansprache nach außen. So soll Jeff Bezos ausgeführt haben, dass Amazon eines Tages untergehen werde. Bei einem näheren Blick auf die großen Konzerne zeige sich, dass eine Lebenserwartung bei 30 plus realistischer sei als etwa 100 Jahre. Offenbar hatte Bezos dabei Unternehmen im Blick, die zu seinen Lebzeiten gegründet worden waren.
Der Kernsatz seiner Rede, die den Anwesenden in bleibender Erinnerung geblieben sein soll, war: “Amazon is not too big to fail.” In Anlehnung an das Phänomen der systemrelevanten Banken, die von den Regierungen im Katastrophenfall gerettet werden, um massive Auswirkungen auf die Volkswirtschaft zu vermeiden, wollte der Unternehmer damit klarstellen, dass er Amazon eben nicht als systemrelevant betrachtet.
Schwanengesang oder bewusste Strategie – beides ist denkbar
Die von Jeff Bezos wiederholt in den Raum gestellte Götterdämmerung von Amazon kann verschiedene Hintergründe haben. Einige Beobachter sehen darin einen Beleg für den überdurchschnittlichen Pragmatismus des Amazon-Gründers, der unvermeidliche Entwicklungen mit stoischer Ruhe hinnimmt und das beste daraus macht.
Dass Jeff Bezos angesichts einer Insolvenz von Amazon persönlich massiven Schaden erleidet, ist eher unwahrscheinlich. Realistischer ist die Aufspaltung des Unternehmens in unabhängige Unternehmensbereiche, die teils unter neuer Führung weitermachen, teils abgewickelt werden. Auch neue Projekte von Jeff Bezos, beispielsweise auf dem Gebiet der Raumfahrt, gehören zu den Entwicklungen, die nach einem Ende von Amazon denkbar sind.
Wahrscheinlicher ist allerdings eine andere Interpretation: die Motivation des Schreckens. Bei näherem Hinsehen stellt sich heraus, dass jeder der drei Schwanengesänge von Jeff Bezos auf ein konkretes Szenario Bezug nimmt: 2013 als Teaser zur Vorstellung der Amazon-Lieferdrohnen, 2017 auf Irritationen innerhalb von Führungsebene und Belegschaft und 2018 auf zunehmender Erfolge bei der Bildung von Gewerkschaften. Möglicherweise war in jedem Fall die Absicht des Amazon-Gründers, die Dinge durch einen heilsamen Schock aufs richtige Gleis zu setzen.