Niklas Kolorz verschafft TikTok einen Grimme-Preis
Dass die umstrittene Chat-Plattform TikTok jemals etwas mit dem renommierten Grimme-Preis zu tun haben würde, hätte sich noch vor kurzer Zeit niemand ernsthaft vorstellen können. Die Wirklichkeit sieht anders aus. Beim diesjährigen Grimme Online Award erhielt das Projekt „Niklas Kolorz auf TikTok“ gleich zwei Würdigungen: einmal in der Kategorie Wissenschaft und Bildung und einmal im Form des Publikumspreises.
Der Videoproduzent und Streaming-Experte bringt auch die sperrigsten und komplexesten Wissensthemen in Sechzig-Sekunden-Clips unter – vom Urknall bis zum Urkilo. Die Tatsache, dass Niklas Kolorz seine Mini-Shows auf seinem TikTok-Kanal präsentiert, hat der zum chinesischen Bitedance-Konzern gehörenden Videoplattform nun die höheren Weihen zweier Grimme-Preise eingebracht.
Videokonzept als Ergebnis des Lockdowns
Während der Monotonie des zweiten Lockdowns im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie sei ihm die Idee gekommen, berichtet der Preisträger während der live gestreamten Preisverleihung. Es sei vor allen Dingen darum gegangen, einen kreativen Ausgleich zu schaffen.
Die Reaktion auf die unterhaltsamen Mini-Lehrfilme hat selbst den Macher überrascht. „Nach acht Tagen hatte ich das erste virale Video mit 800.000 Aufrufen, und von da an ist der Kanal explodiert, das ist der Wahnsinn“, berichtet Niklas Kolorz.
TikTok, die erste globale Plattform, die nicht in den USA beheimatet ist, wendet sich insbesondere an junge Menschen. Die anfangs vor allem durch lustige selbstgedrehte Tanzfilme bekannt gewordene Online-Community etablierte sich später als Sprachrohr für populistische und rechtsextreme Inhalte, was die Plattform in der allgemeinen Wahrnehmung in eine deutliche Schieflage brachte.
Mittlerweile scheint sich TikTok auch im Bereich anspruchsvoller und nützlicher Inhalte zu etablieren, wie die Grimme Awards für Niklas Kolorz belegen.
Lehrer als YouTube-Star
Ein weiterer außergewöhnlicher Grimme-Preisträger, diesmal in der Kategorie Kultur und Unterhaltung, ist der Hamburger Schulleiter Björn Lengwenus. Während der Schulschließungen präsentierte der rührige Pädagoge sechs Wochen lang jeden Abend die YouTube-Show „Dulsberg Late Night“, angelehnt an den Hamburger Stadtteil Dulsberg, dem Standort seiner Schule.
Die tägliche Show von Björn Lengwenus ist längst zum Kult geworden. Einen seriösen Schulleiter, der aus der ungenutzten Aula seiner Schule Live-Schaltungen zu seinen Schülern sendet, dazwischen auf Comedy und Tanzeinlagen zurückgreift und im Osterhasenkostüm vor die Kamera hoppelt, sieht man nicht alle Tage. Das hat Björn Lengwenus neben dem Grimme Online Award auch eine Goldene Kamera eingebracht.
Der Schulleiter würde gerne mehr Entertainer-Qualitäten bei Lehrer*innen sehen, sagte der Hamburger Pädagoge anlässlich der Preisverleihung. Doch im Grunde sei es gar nicht er gewesen, auf den der Erfolg von Dulsberg Late Night zurückgehe: „Die Schüler haben so wundervolle Beiträge geliefert – eigentlich haben die mich durch die Show getragen.“
Schwerpunktthema der Beiträge ist die Gewalt von rechts
Besonders viele Beiträge bei den diesjährigen Grimme Online Awards beschäftigen sich mit dem Problem der wachsenden Gewalt vom rechten politischen Rand. In diese Gruppe gehört beispielsweise die Webdokumentation „Gegen uns“, die sich mit den Opfern von rechter Gewalt und Rassismus beschäftigt.
Mit den Ereignissen des Anschlags in Hanau und seinen Folgen beschäftigt sich der Podcast „190220 – Ein Jahr nach Hanau“. Reporterin Alena Jabarine begegnet hier Angehörigen und Überlebenden im Interview, von der Moderatorin Sham Jaff in einen umfassenden Kontext gesetzt. Auch die Rolle der Behörden und die gesellschaftlichen Auswirkungen des Attentats kommen zur Sprache.
Die Grimme Online Awards kommen ohne Preisgelder aus. Dennoch gilt der Preis seit 2001 als eine der wichtigsten Auszeichnungen für Online-Publizistik.