Gibt es Korruption bei Stuttgart 21?

Nach einer Recherche der Financial Times sollen zwei Mitarbeiter des Bahnprojekts Stuttgart 21 wiederholt und über einen längeren Zeitraum hinweg vor Korruptionsaktivitäten und betrügerischen Handlungen innerhalb des Großprojekts um den Stuttgarter Hauptbahnhof gewarnt haben. Alle Hinweise seien aber von der Deutschen Bahn ignoriert worden.

Bei den beiden Informanten soll es sich um zwei zuvor für das Projekt tätige Ingenieure handeln. Laut ihren Informationen hätte es unter mehreren leitenden Angestellten Betrugshandlungen im Zusammenhang mit den Firmengeldern gegeben. Baden-Württembergs Verkehrsminister Winfried Hermann fordert nun die umfassende Aufklärung der Verdachtsmomente rund um eines der größten Infrastrukturprojekte in Europa. Die Deutsche Bahn weist alle Vorwürfe zurück.

Manipulationen bei der Auftragsvergabe

Die beiden Whistleblower behaupten, es hätte eine Reihe von Auftragsvergaben mit unüblich hohen Preisvereinbarungen gegeben. Das lässt darauf schließen, dass es möglicherweise mit den für den Einkauf zuständigen Managern Cashback-Vereinbarungen über schwarze Kanäle gegeben haben könnte.

Mittlerweile hat die Staatsanwalt Stuttgart die Ermittlungen aufgenommen. „Wir zahlen ja fast eine Milliarde Euro bei der Neubaustrecke und fast eine Milliarde Euro bei Stuttgart 21. Da haben wir schon das Interesse zu wissen, wo das Geld hinkommt und ob alles rechtmäßig ausgegeben wurde“, meint dazu der baden-württembergische Verkehrsminister in einem Interview mit dem SWR.

Stuttgart 21: Ein Projekt der Pleiten und Pannen

Der Ursprung von Stuttgart 21 geht bis auf das Jahr 1994 zurück. Zu diesem Zeitpunkt wurde das Mammutprojekt zur Neugestaltung des Stuttgarter Hauptbahnhofs der Öffentlichkeit präsentiert. Danach dauerte es immerhin 15 Jahre, bis im Februar 2010 der erste Spatenstich erfolgte.

Seither ist das Bauprojekt eine ständige Quelle von Negativmeldungen. Immer wieder kommt es zu Verzögerungen und Verspätungen. Und auch die Kosten steigen im Laufe der Jahre um ein Mehrfaches der ursprünglich angesetzten Kosten: Gestartet war das Projekt mit einen Kostenplan über insgesamt 4,5 Milliarden Euro. Im Januar 2018 meldete die Deutsche Bahn die mögliche Erhöhung des Kostenrahmens auf 8,2 Milliarden Euro. Andere Schätzungen sprechen von einer weiteren Steigerung auf 12 Milliarden Euro – und ein Ende ist nicht abzusehen.

Deutsche Bahn weist alle Vorwürfe zurück

“Nicht zutreffend” – so lautet die Stellungnahme der Deutschen Bahn zu den Anschuldigungen der Financial Times. Es seien keine Regelverstöße festgestellt worden, nachdem das Unternehmen eigenen Bekundungen zufolge allen Hinweisen nachgegangen sei.

Auch der Vorwurf, es sei zu Einschüchterungsaktionen gegenüber den beiden Whistleblowern gekommen, weist die Deutsche Bahn zurück. Diese Unterstellungen seien “schlichtweg falsch”. In diesem Zusammenhang verweist die Bahn auf ein Urteil des Arbeitsgerichts Stuttgart vom 1. Juli 2021, das diesen Sachverhalt bestätigt haben soll.

Compliance-Abteilung im Zwielicht

Dennoch scheint es Hinweise auf Zwangsmaßnahmen der Deutschen Bahn gegenüber den Informanten zu geben. So kam es nach wiederholten Mitteilungen eines der beiden Mitarbeiter an die Bahn-eigene Compliance-Abteilung zu dessen Entlassung. Daraufhin habe der zweite Mitarbeiter aus Angst vor Vergeltungsmaßnahmen seine Informationstätigkeit gegenüber der Compliance-Abteilung beendet.

Die britische Zeitung verfügt eigenen Angaben zufolge über umfangreiches Recherchematerial, darunter Interviews mit Personen, die mit den inneren Zusammenhängen vertraut sind. Nach ihren Angaben sei ein erheblicher Teil der explosionsartig gestiegenen Kosten auf Betrugshandlungen zurückzuführen. Der Rest sei dem ständigen Missmanagement innerhalb der Projektleitung zuzurechnen.

So sei es durch anfängliche Betrugshandlungen zu einer Art Dominoeffekt gekommen: Durch Korruption ausgelöste Kostensteigerungen hätten weitere Steigerungen zur Folge, um die ursprünglichen Betrugshandlungen zu verschleiern.

Ein typisches Beispiel dafür soll die Verlegung der Stadtbahnhaltestelle Staatsgalerie sein. Die Kosten dafür hätten im Grund mit der Kommune geteilt werden müssen. Doch um die Aufmerksamkeit der Landesregierung nicht auf die stark überhöhten Kosten zu lenken, habe die Projektleitung darauf verzichtet, die Kostenteilung zu beantragen.

Die Stadtführung von Stuttgart hat angesichts der Vorwürfe mittlerweile Kontakt mit dem Verkehrsministerium aufgenommen. Die Deutsche Bahn sagt zu, die Projektpartner zeitnah zu informieren. Angesichts der totalen Distanzierung der Bahn von den Vorwürfen bleibt die Frage, welche Informationen das halbstaatliche Unternehmen noch liefern will.