Fehlt North Stream 2 die rechtliche Grundlage?
Technisch gesehen könnte die Pipeline North Stream 2 bereits seit September dieses Jahres Gas aus Russland nach Europa befördern. Doch der offizielle Betriebsstart steht noch aus. Grund: mögliche Konflikte mit geltendem EU-Recht.
Die für den Betrieb der Pipeline lebenswichtige Zertifizierung durch die Europäische Union lässt weiterhin auf sich warten, denn der Betrieb von North Stream 2 in der jetzigen Konfiguration verstößt womöglich gegen die Energierichtlinie der EU.
Betriebsautonomie von Erzeuger und Lieferant nicht gewährleistet
Laut europäischer Energierichtlinie dürfen der Gaslieferant – hier der russische Energieproduzent Gazprom – und der Betreiber der Pipeline nicht identisch sein. Das ist derzeit allerdings der Fall, da Gazprom auch für Bau und Betrieb von North Stream 2 verantwortlich zeichnet.
Wegen des offensichtlichen Verstoßes gegen EU-Recht weigerte sich die zuständige Behörde, die für den Betrieb erforderliche Zertifizierung durchzuführen. Bisherige Einlassungen des russischen Energiekonzerns, wonach die Pipeline nicht vollständig durch europäisches Territorium verlaufe, sondern in Russland beginne, konnte die Genehmigungsbehörde nicht überzeugen.
Trassenverlauf durch Europa bestimmt über die Rechtslage
Als Begründung gab die Behörde an, dass die Energierichtlinie auch dann greife, wenn eine Pipeline außerhalb Europas ihren Ursprung habe, dann aber europäisches Gebiet durchlaufe. Außerdem sei auch ein weiterer Rechtsgrundsatz verletzt: die Öffnung zur allgemeinen Nutzung.
Nach EU-Recht muss die Pipeline auch anderen Gaslieferanten zur Nutzung offenstehen. Dazu gehört auch die transparente Gestaltung der Betriebsvoraussetzungen und der Entgelte. Beides sei durch Gazprom bisher nicht in der von der EU vorgesehenen Weise umgesetzt worden.
Auch deutsches Recht steht dem Betrieb im Wege
Nachdem Deutschland die europäische Energierichtlinie im Mail 2019 in deutsches Recht umgesetzt hat, gibt es auch auf nationaler Ebene Rechtsprobleme bei der Inbetriebnahme von North Stream 2. Maßgeblich ist dabei der Zeitpunkt der Fertigstellung.
Die nationale Betreibergesellschaft – die Nord Stream 2 AG – vertrat die Auffassung, dass die Pipeline bis zum Zeitpunkt der Rechtsgültigkeit der Richtlinie in Deutschland im wirtschaftlichen Sinne bereits fertiggestellt worden sei, weshalb die Richtlinie auf sie nicht zutrifft. Darauf aufbauend legte sie Beschwerde bei der Bundesnetzagentur ein.
Dieser Auslegung wollte die Agentur nicht folgen. Sie vertrat die Ansicht, dass die Pipeline nach europäischem und deutschem Recht zu bewerten sei, da sie bis zum Stichtag eben nicht fertiggestellt worden sei, und zwar im baulich-technischen Sinne. Das Oberlandesgericht gab der Bundesnetzagentur vollumfänglich recht.
Teilzertifizierung mit geringen Erfolgsaussichten
Als Reaktion auf das abschlägige Urteil schlug die Nord Stream 2 AG den Weg ein, sich als unabhängiger Netzbetreiber zertifizieren zu lassen. Dem stehen allerdings faktische Argumente entgegen.
Die Tatsache, dass die Nord Stream 2 AG ein fester Teil des Gazprom-Unternehmensverbunds ist, lässt sich nicht von der Hand weisen. Das lässt sich auch aus der Gründungsgeschichte herleiten.
Demnach hielt Gazprom bei der Unternehmensgründung der deutschen Betriebsgesellschaft einen Anteil von 50 Prozent. Jeweils 10 Prozent lagen bei BASF/Wintershall, Engie, OMV, Shell und Uniper, alles Unternehmen aus dem europäischen Raum.
Nachdem sich die europäischen Partner aus der Gesellschaft zurückgezogen hatten, ersetzte sie Gazprom durch die von ihr in den Niederlanden gegründete Tochtergesellschaft Gazprom Gerosgaz Holdings, die sämtliche Anteile an der Nord Stream 2 AG hält.
Die Bundesnetzagentur wertete das als intensive Verflechtung von Lieferant und potentiellem Netzbetreiber. Dennoch hat die Agentur den Antrag der deutschen Betriebsgesellschaft angenommen und führt derzeit die Prüfung durch. Eine Entscheidung wird für Anfang 2022 erwartet.
Sollte es zu einem positiven Bescheid kommen, steht als nächste Hürde die Deutsche Umwelthilfe (DUH) auf dem Plan. Sie argumentiert, dass bereits das Zertifizierungsverfahren an sich gegen geltendes Recht verstoße. Als Grund gibt die DUH an, die Fristen für die Beantragung einer Zertifizierung seinen bereits seit mehreren Jahren abgelaufen.
Dem hält wiederum die Bundesnetzagentur entgegen, dass in diesem Fall eine Auslegung der gesetzlichen Fristenregelungen erforderlich sei. Grund: Startet der Betrieb eines Transportnetzes erst nach dem Stichtag, könne und müsse die Antragsfrist nicht eingehalten werden.