Der Schuldschein – eine alternative Finanzierungsform für den Mittelstand. Interview mit Rechtsanwalt Dr. Gero Kollmer

Herr Dr. Kollmer, ein Schuldschein – da öffnet sich das innere Bild eines Gläubigers, der einem armen Bauern seine Schulden auf einer Pergamentrolle vor Augen führt und sein Vieh auf der Weide pfändet – was spielt denn der Schuldschein heute noch für eine Rolle?

Eine erhebliche, gerade für den Mittelstand. Er ist eine Alternative zu einem Darlehen oder einer Anleihe. Man muss hier aber genauer sein in der Bezeichnung. Wir reden zwar kurz vom Schuldschein, gemeint ist aber ein Schuldscheindarlehen. Das heißt, dass man, vereinfacht gesagt, einen Darlehensvertrag schließt und die Darlehensvertragsurkunde ist gleichzeitig ein Schuldschein, das vereinbart man einfach vertraglich.

Und was hat es mit der Bezeichnung „Schein“ auf sich, Herr Dr. Kollmer?

Rechtlich steht im Mittelpunkt tatsächlich eine Urkunde, also ein physisches Papier. Die Urkunde ist aber kein Wertpapier, wie etwa ein Wechsel, sondern die Urkunde hat in dem Fall eine Beweisfunktion. Das hat verschiedene Auswirkungen, aber insbesondere gilt die Forderung mit der Vorlage bei Gericht – sehr vereinfacht jetzt – erst mal als bewiesen. Ich kann aber das Darlehen nicht einfach durch Übergabe an einen Dritten oder Vinkulierung weiterreichen.

Der Schuldner kann sich also gegen einen Schuldschein gar nicht wehren?

Doch, aber der Gläubiger hat schon Vorteile bei der Prozessführung. Denn dem Gläubiger steht der Urkundsprozess zur Verfügung – wenn die Urkunde vorgelegt wird, bekommt der Gläubiger sehr schnell einen Vollstreckungstitel, aus diesem kann er dann vorgehen. Der Schuldner kann sich dann noch im Nachhinein wehren im sogenannten Nachverfahren.

Stellt der Schuldschein den Schuldner also rechtlos?

Nein, das kann man nicht sagen, denn meist muss der Gläubiger vor der Vollstreckung ja eine Sicherheit hinterlegen und außerdem kann sich der Schuldner sich auch mit allen Einreden im Nachverfahren wehren. Letztlich ist die Beweiserleichterung der hauptsächliche Vorteil für den Gläubiger. Das spielt aber in der Praxis jetzt gar nicht einmal so die Rolle. Im Vordergrund steht die Unkompliziertheit des Instruments.

Und was macht dieses Instrument für Investoren und Mittelständler so interessant?

Also der Schuldschein ist kaum reguliert. Man muss hier die Alternativen sehen, wir haben auf der einen Seite das Darlehen und andererseits Anleihen. Darlehen erfordern umfangreiche Vertragswerke und Convenants, Anleihen setzen meist Ratings und Prospektaufwand voraus und damit Monate an Vorbereitungszeit.  Von den Kosten jetzt gar nicht zu reden. Das alles lohnt sich ja erst ab einem sehr hohen Volumen, das man ja oft gar nicht braucht.

Dr. Kollmer, wenn das so einfach ist, warum machen das nicht alle?

Naja, es machen ja auch viele. Der Markt ist in den letzten Jahren ziemlich gewachsen. In Deutschland jedenfalls ist das eigentlich seit sehr langer Zeit ein äußerst gängiges Instrument, in das auch die Geschäftsbanken involviert sind. Die Banken treten entweder selbst als Schuldscheingläubiger auf oder als Arrangeure, das heißt, die suchen Abnehmer für den Schuldscheine, die das Unternehmen emittiert. Dafür nehmen die Banken eine arrangement fee.

Aber man benötigt letztlich keine Bank. Einen Schuldschein, der nicht mit Grundstücken besichert ist, kann man sehr kurzfristig vereinbaren. Wenn Vertragsmuster vorhanden sind, bekommt das eine Rechtsanwaltskanzlei im Notfall in 2-3 Tagen hin, wenn es eilt. Im Normalfall dauert es aber einige Wochen, also zwischen 2 bis 10 Wochen.

Man kann das Darlehen in Tranchen aufteilen mit verschiedenen Fälligkeitszeitpunkten und Laufzeiten sowie mit gestaffelten Zinsen. Die Sache ist also deutlich flexibler als etwa eine Anleihe.

Stichwort besichern – welche Sicherheiten werden vereinbart?

Da es ein Darlehen ist und Vertragsfreiheit herrscht, können alle denkbaren Sicherheiten vereinbart werden wie bei einem normalen Darlehen auch. Die Besicherung mit Immobilien ist technisch etwas anspruchsvoller und ein Notar muss mit ins Spiel. An sich sind grundpfandrechtlich besicherte Schuldscheindarlehen die Ausnahme. Darin liegt jetzt auch ein Nachteil für den Gläubiger oder Investor: er muss den Gläubiger schon genau kennen. Dafür bekommt er meist auch einen Zinsaufschlag, es sind bis zu 1,8 % üblich.

Wer geht so ein Risiko ein, Herr Dr. Kollmer?

Derjenige, der das Risiko einschätzen kann und wer nicht viel Umstände machen, sondern einfach ein Darlehen vergeben und Zinsen verdienen will. Das sind natürlich institutionelle Investoren, ganz klar. Sehr oft sind es Konsorzialkredite, es gibt also mehrere Darlehensgeber. Man darf nicht vergessen, bei einer Anleihe gibt es in der Regel auch keine Sicherheiten, dafür aber ein Rating und eine höhere Rendite. Das Rating muss hier durch eigene Analyse und/oder Garantien ersetzt werden.

Wie sehen Sie die Zukunft des Schuldscheins, Herr Dr. Kollmer?

Also der Trend zeigt aufwärts. Interessanterweise begeben inzwischen vermehrt ausländische Firmen Schuldscheine, weil es genau so etwas außerhalb der deutschen Rechtsordnung nicht gibt, es sich aber als ein sehr nützliches Instrument erwiesen hat. Und die Wirtschaft neigt ja dazu, das Nützliche zu begrüßen, während Verwaltungen oft zum Kategorischen neigen. Es gibt bislang für den Schuldschein keine Englische Übersetzung. IOU oder promissory note treffen es ja nicht ganz. Auch da ist man pragmatisch, das heißt auf Englisch einfach „the schuldschein“ – ist doch schön, dass wir der Welt ein neues Wort geben konnten (lacht).

OK. Gibt es noch etwas, was man wissen müsste, wenn man jetzt zum Besipiel einen Schuldschein begeben will?

Man sollte sich als Kapitalsuchender noch die Alternativen ansehen, zB Debt Funds. Übrigens geht die Digitalisierung auch am Schuldschein nicht vorbei – zum Glück. Mit DebtVision gibt es eine digitale Plattform, die Emittenten und Investoren zusammenbringt. Ich muss aber zugeben, dass ich mir die noch nicht vertieft angesehen habe.

Herr Dr. Kollmer, vielen Dank für das Gespräch.

 

Dr. Gero Kollmer, MBA, ist Rechtsanwalt und Fachanwalt für Bank- und Kapitalmarktrecht und unterstützt Mandanten als Einzelanwalt.

 

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