Helge Braun plädiert für Aussetzung der Schuldenbremse

„Die Schuldenbremse ist in den kommenden Jahren auch bei ansonsten strenger Ausgabendisziplin nicht einzuhalten.“ So Kanzleramtschef Helge Braun in einem Gastbeitrag für das Handelsblatt. Die Äußerung löst bei den Parteikollegen in der CDU heftigen Widerspruch aus.

Deutliche Ablehnung des Vorschlags kommt von Fraktionschef Ralph Brinkhaus. Nach seiner Lesart hat der Vorschlag lediglich den Status einer persönlichen Meinungsäußerung. Der Unionsfraktionschef wies darauf hin, dass eine Aussetzung der Schuldenbremse im Grundgesetz keine mehrheitsfähige Position in der Bundestagsfraktion der CDU/CSU darstellt. „Es ist nicht meine Position, es ist nicht die Position unserer Haushalts– und Wirtschaftspolitiker“, betonte Brinkhaus.

Pandemie erfordert Neuausrichtung der Schuldenpolitik

Der Vorschlag Helge Brauns lautet auf Modifikation der im Grundgesetz festgelegten Schuldenbremse, um der Bundesregierung in den kommenden Jahren eine höhere Neuverschuldung zu ermöglichen, diese aber auch nach oben hin zu begrenzen. Da die Schuldenbremse in den folgenden Jahren selbst bei strenger Ausgabenpolitik nicht einzuhalten sei, müsse es eine im Grundgesetz eingelagerte “Erfolgsstrategie für die Wirtschaft” geben, so die Formulierung des Kanzleramtschefs.

Dem hält Fraktionschef Brinkhaus die Sinnhaftigkeit der geltenden Regelung entgegen. „Die Schuldenbremse wurde aus gutem Grund ins Grundgesetz aufgenommen“, betont der CDU-Politiker. Zudem gebe es den Artikel 115, der exakt für Vorfälle wie die aktuelle Pandemie vorgesehen ist. Er erlaube die vorübergehende Aussetzung und regele die Rückzahlung neuer Schulden.

Die geltende Regelung hält Brinkhaus für vollkommen ausreichend und verweist auf die positiven Effekte der Schuldenbremse. „Finanzielle Solidität ist wichtig. Generationengerechtigkeit ist wichtig. Und insofern brauchen wir darüber auch nicht mehr zu diskutieren.“

Markus Söder sieht falsches Signal

Kritik kommt auch von CSU-Chef Markus Söder. Er lehnt die Strategie ab, die Folgen der Corona-Krise auf Dauer durch eine höhere Schuldenaufnahme zu bewältigen. „Die Aussetzung der Schuldenbremse ist ein falsches Signal“, erklärt der bayerische Politiker. Wichtiger sei vor allen Dingen ein schlüssiges wirtschaftspolitisches Konzept.

Ein Tweet von Helge Braun lässt sich als Reaktion auf die teilweise heftige Kritik interpretieren. „Ich liebe die Schuldenbremse“, so die Pointe des Twitter-Posts, in dem der Kanzleramtschef betont, dass es ihm um einen gesetzlich vorgezeichneten Weg zur schwarzen Null geht, statt sich fortgesetzt mit Notklauseln zu behelfen.

SPD zeigt sich verblüfft

Zeichen der Überraschung kommen aus dem Lager des Koalitionspartners SPD. Fraktionschef Rolf Mützenich sieht Brauns Vorstoß als „komplett neue Einschätzung“ von seiten CDU und CSU. Der Fraktionschef fordert eine Klarstellung durch CDU-Chef Armin Laschet. Sie soll darüber Auskunft geben, wie der Parteiführer mit dieser Frage umgehen will.

Mützenich wies darauf hin, dass die SPD bereits zuvor Vorschläge zur Reform der Schuldenbremse unterbreitet habe. Das strategische Ziel der SPD gemäß eines Parteitagsbeschlusses ist die perspektivische Überwindung der Schuldenbremse in ihrer jetzigen Form.

Laut Bericht der Nachrichtenagentur Reuters gibt es bereits eine kritische Stellungnahme von Armin Laschet. „Wer das Grundgesetz ändern will, sollte sich vorher mit Partei und Fraktion abstimmen“, äußerte der CDU-Chef in einer Online-Fraktionssitzung der Union. Seine Partei setze weiterhin auf die Schuldenbremse.

Keine Mehrheit für Grundgesetzänderung in Sicht

Wenig Chancen räumt Bundesjustizministerin Christine Lambrecht einer Grundgesetzänderung zur Schuldenbremse ein. Eine Neufassung erfordere einen breiten parteiübergreifenden Konsen, den sie derzeit nicht sehe, so die Ministerin in einem Interview mit der Saarbrücker Zeitung.

Grundgesetzänderungen sind nur über eine Zweidrittelmehrheit im Bundestag und im Bundesrat durchsetzbar. Zudem besteht bereits eine Möglichkeit, die Schuldenbremse in außergewöhnlichen Notsituationen zeitlich befristet auszusetzen, wie Christine Lambrecht betonte. Diese Möglichkeit hat der Bund für 2020 und 2021 genutzt.

Genau dagegen richtet sich Helge Brauns Vorschlag. Er sieht Probleme in der Taktik, die Ausnahme für Naturkatastrophen in den Folgejahren wiederholt zu nutzen. „Das öffnet das Tor zur dauerhaften Aufweichung der Schuldenregel“, sagt der Kanzleramtschef. „Es ist völlig unklar, wie lange die Pandemie eine Ausnahme von der Regel begründet.“