Bei der ESG-Evaluierung sind noch nicht alle Datenquellen erschlossen

In einem Interview mit dem Branchendienst e-fundresearch.com äußert sich Markus Leippold, Professor für Financial Engineering an der Universität Zürich und am Swiss Finance Institute, über neue Möglichkeiten, die Bewertung nachhaltiger Investments durch eine Reihe weiterer, bisher weitgehend unerschlossener Datenquellen anzureichern und zu vertiefen. Wesentlich für ihre Verwendung ist der kompetente Umgang mit der Vielfalt an Formen, in denen die Daten vorliegen.

Die Unterschiedlichkeit bei den Formaten, in denen verwendbare Daten zur Verfügung stehen, sind Chance und Herausforderung zugleich. Sie ermöglichen einerseits den Zugriff auf Informationsquellen, die bisher kaum Verwendung finden. Auf der anderen Seite gilt es, die unterschiedlichen Formate in eine einheitliche, für Analysen anwendbare Form zu bringen.

Multimediale Daten erfordern eine gemeinsame Verwertungsebene

Informationen, die sich für die Evaluierung nachhaltiger Investments auswerten lassen, kommen in den unterschiedlichsten Ausprägungen vor, beispielsweise als Zahlenmaterial, Grafiken, Bilder, Tabellen oder in Textform. Es sind also Instrumente erforderlich, um aus dieser Vielfalt die relevanten Informationen zu gewinnen, so Professor Leippold. Erst daraus lässt sich die erforderliche Transparenz herstellen, um eine tragfähige Bewertung auf den Weg zu bringen.

Wesentlich ist auch die Offenlegung sowohl der Rohdaten als auch der verwendeten Methoden als Open Source. Die allgemeine Verfügbarkeit so gewonnener Informationen ist das beste Mittel, um Greenwashing bereits im Vorfeld sicher auszuschließen. “Wir dürfen uns nicht auf Kennzahlen Dritter verlassen, bei denen wir nicht bestimmen können, was sie messen und wie sie das tun”, erläutert Professor Leippert.

Informationsqualität als oberstes Gebot

Der Sektor Green Invest steht und fällt mit dem Vertrauen der Anleger in die nachhaltigen Anlageprodukte, die am Markt erscheinen. Umso wichtiger sind belastbare Verfahren, um Fehlinformationen gegenüber Konsumenten, Investoren und der Öffentlichkeit auszuschließen.

Eine wichtige Rolle spielen dabei die Branchenverbände. Durch ihre Bemühungen, tragfähige Standards und Regeln durchzusetzen, tragen sie wesentlich dazu bei, in der Öffentlichkeit ein positives Marken- und Branchenimage zu verankern.

Nach Ansicht von Professor Leippert reichen die Mittel der Selbstregulierung allerdings nicht aus, um ein hochqualitatives Marktumfeld zu schaffen. Es kommt insbesondere auch auf die Maßnahmen zur Regulierung von staatlicher Seite an. Hier ist in den vergangenen Jahren bereits einiges auf den Weg gebracht worden, gerade durch die Europäische Union.

Aufmerksamkeit erfordern hier allerdings diskussionswürdige Schritte wie die Einstufung von Gas und Kernkraft als nachhaltige Energiequellen. Diese Schritte mögen angesichts der aktuellen Lage – insbesondere durch den Krieg in der Ukraine – als Übergangslösung durchaus Sinn ergeben. Dennoch sollten Investoren und Politik nicht aus den Augen verlieren, dass Brückentechnologien dieser Art nur vorübergehend zur Problemlösung beitragen können. Nur die schnellstmögliche Rückkehr zu den klassischen Nachhaltigkeitskriterien ohne fossile und nukleare Komponente werden den Markt nachhaltiger Investments weiterhin so erfolgreich machen, wie er in den letzten Jahren geworden ist.

Verbraucherinformation als qualitätssicherndes Element

Eine durch Professor Leippert in der Schweiz auf den Weg gebrachte Untersuchung ergab, dass der Wissensstand in der Bevölkerung zum Thema Sustainable Finance noch spürbar begrenzt ist. Besseres Wissen zum Thema nachhaltiges Investieren würde demnach den Übergang zu einer nachhaltigen Wirtschaft erleichtern und sie gegen Beeinträchtigungen weniger anfällig machen – nicht zuletzt solche, die sich aus der Langsamkeit des politischen Wandels ergeben, so der Professor.

Durch die Kombination aus numerischer Daten, Satellitendaten und Textinformationen lassen sich bedeutende Fortschritte generieren, davon ist Professor Leippert überzeugt. Mindestens genauso wichtig sei aber die Entwicklung von Methoden für die Aufbereitung von Informationen, um sie auch Laien transparent und gut verständlich zu vermitteln.

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