Annalena Baerbock positioniert sich in der Mitte

Weder am linken noch am rechten Rand der Grünen positioniert sich die neu designierte Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock bei zwei Interviews nach ihrer Kür. Ihre ersten Auftritte als Anwärterin auf das wichtigste deutsche Amt beweisen ihr staatsmännisches Potential.

Politisch hat Annalena Baerbock eine typische Grünen-Karriere hinter sich. In jungen Jahren im Umfeld von Greenpeace-Umweltaktivismus aufgewachsen, profiliert sie sich als Schülerin mit Aktionen gegen den Irak-Krieg und sammelt erste basisdemokratische Erfahrungen auf Protestmärschen gegen das Atommüll-Zwischenlager in Gorleben, an denen sie mit ihren Eltern teilnimmt.

Ihr Studium über Politikwissenschaften, öffentliches Recht und Völkerrecht in Hamburg und London von 2002 bis 2005 scheint ihre politische Prägung unmittelbar beeinflusst zu haben: Gleich nach dem Abschluss erfolgte 2005 der Einritt bei den Grünen.

Aus ländlichem Umfeld in den Journalismus

Aufgewachsen in ländlichem Umfeld in der Gegend um Hannover verbrachte die heute vierzigjährige Mutter von zwei Kindern die eigene Kindheit und Jugend auf einem Bauernhof, größtenteils unbeeindruckt vom politischen Aktivismus der Eltern und des sozialen Umfelds. Die zentralen Interessen richteten sich zunächst auf Sport – Trampolinspringen und Fußball – und anschließend auf Journalismus.

Bereits während des Studiums war Annalena Baerbock nebenberuflich freie Mitarbeiterin für die Hannoversche Allgemeine Zeitung und absolvierte Hospitationen bei der Deutschen Presseagentur und dem Norddeutschen Rundfunk.

Erste politische Impulse im Europarat

Ein Praktikum beim Europarat und beim Europäischen Parlament in Straßburg brachte Annalena Baerbock erstmals in unmittelbaren Kontakt mit Politik. Auch die Nähe zu den Grünen entstammt dem Umfeld der Europapolitik: Nach Abschluss des Studiums wurde sie in Potsdam Büroleiterin der Europa-Abgeordneten der Grünen Elisabeth Schroedter.

Anfängliche Berührungsängste mit der Parteiarbeit überwand die Jungpolitikerin schnell und stieg innerhalb der Partei-Hierarchie rasch auf. 2009 wurde sie Co-Landesvorsitzende in Brandenburg, ein Amt, das sie bis 2013 ausübte. Dem folgte im gleichen Jahr der Einzug als Abgeordnete in den Bundestag.

Den Parteivorsitz erlangte Annalena Baerbock im Januar 2018 gemeinsam mit Robert Habeck. Zu dieser Zeit begann das Umfragehoch der Grünen und machte die Partei zur zweitstärksten politischen Kraft im Land.

Premiere bei der Kanzlerkandidatur

Nicht zuletzt dem aktuellen Höhenflug der Grünen ist es geschuldet, dass die Partei erstmals eine Kanzlerkandidatin stellt. Dabei fiel die Entscheidung, wer aus dem Führungsduo die Aufgabe übernehmen soll, nach eigenen Angaben einvernehmlich. Habeck und Baerbock hätten das untereinander so ausgemacht, heißt es auf Nachfrage.

Was noch aussteht, ist die Bestätigung der Kandidatur durch den Bundesparteitag der Grünen im Juni. Mit hohen Zustimmungswerten darf gerechnet werden.

Bei den Sachfragen entschlossen grün

Interviews mit den Tagesthemen der ARD und auf ProSieben präsentieren Annalena Baerbock als Kanzlerkandidatin mit entschlossenem grünem Profil. Höhere Zuverdienstmöglichkeiten für Jugendliche aus Hartz-IV-Familien gehören ebenso in ihren Forderungskatalog wie ein entschlossenes Plädoyer für ein geeintes Europa.

Auch Themen wie die Schuldenbremse und die Klimapolitik sind der frischgebackenen Kanzlerkandidatin mehr als nur ein oberflächliches Anliegen. Die Vierzigjährige beweist in den zentralen Fragen grüner Politik fundiertes Wissen und hohe Entschlussfreudigkeit.

Und wenn es um diplomatisches Geschick geht, beweist sich Annalena Baerbock als durchaus kanzlertauglich: Selbst bohrende Nachfragen verleiten sie nicht dazu, sich im Zusammenhang mit der Bewertung von Wladimir Putin durch US-Präsident Joe Biden dessen Klassifizierung als Mörder in den Mund legen zu lassen.