Amazon steigt in die Landwirtschaft der Zukunft ein
Korrekt müsste es eigentlich “Seewirtschaft” heißen: Wie Versandhandelsriese Amazon kürzlich verkündete, diversifiziert das Unternehmen nun durch die Finanzierung des ersten kommerziellen Algenanbaus in industriellem Maßstab in Europa. Das Projekt North Sea Farm 1 entsteht im Einzugsbereich von Windparks vor der niederländischen Küste und hat sowohl klimatechnische als auch ernährungspolitische Auswirkungen.
Es gehe darum, die Algenzucht zu optimieren und das Potential zur CO2-Bindung zu erforschen, so ein Amazon-Sprecher. Die Nähe zu Windparks ist dabei Teil des Gesamtkonzepts: Dadurch will die Algenfarm sowohl die klimaneutrale Energieversorgung sichern als auch den Betrieb auf bereits stark genutzte Areale in der Nordsee beschränken.
Algen als effizienter CO2-Speicher
Eine Hochrechnung von Amazon liefert beeindruckende Zahlen: Würde man alle verfügbaren Flächen zwischen bereits bestehenden Windparks für die Algenzucht nutzen, ließen sich so jährlich mehrere Millionen Tonnen CO2 binden. Dabei geht das Unternehmen von bisher bestehenden und geplanten Kapazitäten aus: Für Algenfarmen stehen nach diesem Konzept bis 2040 rund eine Million Hektar zur Verfügung.
Unter der Obhut der NGO North Sea Farmers entsteht die erste Anlage in Zusammenarbeit von Unternehmen der Algenindustrie und einem Konsortium von Wissenschaftlern. Der Betriebsstart der ersten Farm ist bereits für Ende des Jahres vorgesehen. North Sea Farm 1 ist als Pilotprojekt ausgelegt und dient als Blaupause für die Offshore-Algenzucht überall auf der Welt.
Amazon als Anschubfinanzierer
Das enorme Potential von Algen als Nahrungsquelle und Basis für zahlreiche Werkstoffe hat Amazon offenbar veranlasst, sich angesichts letztens sinkender Absatzzahlen im Versandhandel diesem neuen Betätigungsfeld zuzuwenden. Für die erste Algenfarm stellt das Unternehmen 1,5 Millionen Euro zur Verfügung. Die Mittel stammen aus Amazons mit 100 Millionen Dollar ausgestatteten Right Now Climate Fund, den das Versand- und Technologieunternehmen zur Förderung naturbasierter Projekte aufgelegt hat.
Die Anschubfinanzierung hat das Ziel, über North Sea Farm 1 einen Innovationsschub beim Offshore-Algenanbau auszulösen. Auch soll sie Forschungsinitiativen innerhalb der 10 Hektar großen Farm ermöglichen, die zu einer weiteren Optimierung der Produktionsprozesse führen sollen. Bereits im ersten Betriebsjahr visieren die Betreiber einen Ausstoß von 6 Tonnen frischen Seetangs an.
Bei der Forschung geht es nicht allein um die Steigerung der Produktionszahlen. Ein wichtiges Ziel ist auch die Förderung des Potentials von Algen, CO2 aus der Atmosphäre zu binden.
“Algen könnten beim Entzug von Kohlendioxid aus der Atmosphäre eine Schlüsselrolle einnehmen. In Europa werden sie trotzdem noch in relativ geringem Umfang angebaut”, sagt dazu Zak Watts, Director EU Sustainability bei Amazon. Über die Finanzierung können wir mehr über die Möglichkeiten der Algenzucht bei der Bekämpfung des Klimawandels erfahren.”
North Sea Farmers als Algen-Pionier
Das Engagement der NGO North Sea Farmers beim Seetang-Anbau ist keine neue Entwicklung. Die Organisation ist auf diesem Gebiet bereits seit 2014 aktiv. Unter der Regie der Organisation arbeiten bei North Sea Farm 1 Unternehmen der Algenindustrie aus ganz Europa zusammen, die an der gesamten Lieferkette beteiligt sind. Unter ihnen befinden sich beispielsweise die Forschungseinrichtungen Plymouth Marine Laboratory, Deltares und Silvestrum Climate Associates sowie der Hersteller von Algenextrakten Algaia und das Wasserbau-Unternehmen Van Oord.
Dass die Förderung der Algenindustrie auch eine Jobmaschine in Gang setzen kann, betont Eef Brouwers, Manager of Farming and Technology bei NSF: „Potenziell ließen bis zu 85.000 Arbeitsplätze im europäischen Algensektor schaffen, wenn North Sea Farm 1 in der gesamten Nordsee nachgebaut und der Platz zwischen den Windparks entsprechend umgewidmet wird. Diese Arbeitsplätze würden vom Anbau bis hin zu Produktion und Verkauf entstehen.“ Offenbar entsteht gerade vor Deutschlands Küsten ein global relevanter Zukunftsmarkt.