Allgemeine Impfpflicht – verfassungsrechtlich durchsetzbar?

Trotz wiederholter Versicherungen aus allen politischen Lagern häufen sich die Anzeichen dafür, dass angesichts explodierender Infektionszahlen eine allgemeine Impfpflicht in Deutschland nun doch zur realistischen Option werden könnte. Dazu stellt sich allerdings die Frage, ob eine Impfpflicht für die gesamte Bevölkerung verfassungsrechtlich überhaupt durchsetzbar wäre.

Weder auf Länderebene noch auf Bundesebene ist derzeit endgültig geklärt, ob das Ausrufen einer allgemeinen Impfpflicht nicht verfassungsrechtliche Interventionen auslösen könnte. Natürlich ließen sich auf dem Wege der Gesetzgebung Verordnungen und Rechtsnormen an die Absicht einer Impfpflicht anpassen. Doch sind solchen Initiativen strenge Grenzen gesetzt, und die sind durch das Grundgesetz definiert.

Impfpflicht versus Impfzwang

In der Diskussion um die obligatorische Impfung geraten vor allem die Begriffe Impfpflicht und Impfzwang häufig durcheinander, was nicht zuletzt für die ungeklärte Rechtslage mitverantwortlich ist. Um zu einer rechtssicheren Praxis zu kommen, sind zunächst allgemeingültige Festlegungen der beiden Begriffe erforderlich.

Impfpflicht ist ein aktiver Verordnungsrahmen. Er erfordert die Eigeninitiative der Bürger, sich der gesetzlichen Pflicht zur Impfung zu unterwerfen und aus eigenem Handeln heraus die Impfung in die Wege zu leiten. Missachten Impfpflichtige diese Regelung, drohen Ordnungsstrafen, die in der Regel von der Dauer der Versäumnisfrist abhängen.

Impfzwang ist ein passiver Verordnungsrahmen. Untätigkeit von Seiten des oder der Impfpflichtigen löst eine exekutive Reaktion des Staates aus. Impfverweigerer können in diesem Szenario gegen ihren Willen und unter Anwendung körperlicher Gewalt zur Impfung gezwungen werden.

Die Rolle des Staates bei der obligatorischen Impfung

Da es sich bei einer Impfung um einen medizinischen Eingriff an einem gesunden Menschen handelt, dürfte jeder rechtsstaatliche Aspekt gegen den Impfzwang sprechen. Der Rechtsstaat darf außerhalb des Strafrechts nicht als Zwangsorgan auftreten. Das schließt den Impfzwang in Demokratien von vorneherein aus.

Übrig bleibt der ordnungsrechtliche Rahmen. Deshalb kann es sich bei der obligatorischen Impfung der Gesamtbevölkerung ausschließlich um eine Impfpflicht handeln – wenn der übergeordnete rechtliche Rahmen das zulässt.

Geringere Einschränkungen für Geimpfte – Impfpflicht durch die Hintertür?

Dass Geimpfte im Rahmen von 2G- und 3G-Modellen bei Corona-bedingten Einschränkungen gegenüber nicht Geimpften bevorzugt werden, lässt sich nicht als indirekte Impflicht definieren. Auch verfassungsrechtliche Aspekte sind davon nicht berührt.

Ein freiheitlicher Rechtsstaat kann Grundrechte gegenüber Menschen einschränken, die ansonsten eine Gefahr für Leib und Leben der allgemeinen Bevölkerung darstellen. Das ist der rechtliche Rahmen für alle Corona-bedingten Maßnahmen – von der Testpflicht bis zum Lockdown. Von Geimpften geht eine solche Gefährdung allerdings nicht oder nur in geringem Maße aus. Dementsprechend ist es ein verfassungsrechtliches Postulat, Geimpfte von Corona-bedingten Einschränkungen weitgehend zu befreien.

Ungeimpfte können sich daher wegen der für sie geltenden Einschränkungen nicht darauf berufen, dass Geimpfte Privilegien genießen. Ihnen sind nur aufgrund ihres Verhaltens die ihnen wieder zustehenden Grundrechte zurückerstattet worden.

Impfpflichten sind kein Neuland

In der Vergangenheit ist es wiederholt zur allgemeinen Impfpflicht gekommen. So bestand im Jahr 1954 eine Impfpflicht gegen Scharlach und Diphtherie. Auch in jüngster Vergangenheit trat eine Impflicht in Kraft, nämlich gegen Masern im Jahr 2020, hier allerdings nur für bestimmte Berufsgruppen.

Das Impfpflichten auch über längere Zeiträume gelten können, belegt die Impfpflicht gegen Pocken. Um diese gefährliche Infektionskrankheit auszumerzen, dauerte die betreffende allgemeine Impflicht der Bundesrepublik Deutschland von 1949 bis 1975. 

 

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