Zwischen Kinderschutz und Überwachung: EU ermittelt gegen US-Plattformen
Die Europäische Union verschärft ihren Kurs gegenüber großen Tech-Konzernen. Apple, Google, YouTube und Snapchat stehen im Verdacht, Kinder und Jugendliche auf ihren Plattformen nicht ausreichend zu schützen. Gleichzeitig tobt auf europäischer Ebene eine intensive Debatte über die sogenannte Chatkontrolle – ein Gesetzesvorhaben, das den Schutz Minderjähriger im Netz stärken, aber zugleich tief in die Privatsphäre der Bürger eingreifen könnte.
Die Europäische Kommission hat offiziell Auskunftsersuchen an mehrere US-Plattformen verschickt. Apple, Snapchat sowie Google mitsamt der Videoplattform YouTube müssen darlegen, wie sie Minderjährige auf ihren Diensten schützen. Anlass ist der Verdacht, dass bestehende Altersbeschränkungen leicht zu umgehen seien und die Algorithmen der Plattformen süchtig machende Verhaltensmuster fördern könnten.
Kommissionsvizepräsidentin Henna Virkkunen erklärte beim Treffen der EU-Digitalminister im dänischen Horsens, die Anforderungen beruhten auf dem Digital Services Act (DSA) – jenem Gesetz, das die Verantwortung großer Online-Dienste für illegale Inhalte und Nutzergefahren erheblich ausweitet. Plattformen müssen künftig nachweisen, wie sie den Schutz junger Nutzer technisch sicherstellen, riskante Inhalte entfernen und missbräuchliche Strukturen verhindern.
Insbesondere bei YouTube prüft Brüssel, ob Kinder durch algorithmische Empfehlungen zu exzessiver Nutzung verleitet werden. Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hatte Entwicklern bereits vorgeworfen, Kinder aus Profitinteressen gezielt an ihre Apps zu binden. Bis Jahresende soll daher eine Expertengruppe Strategien für mehr digitale Sicherheit Minderjähriger ausarbeiten.
Glücksspiel und Drogenzugang – schwerwiegende Verdachtsmomente
Neben algorithmischer Abhängigkeit stehen auch Inhalte und Zugänge im Fokus der Ermittlungen. Auf Apples App Store und Googles Play Store könnten Minderjährige laut Kommission Glücksspiel-Apps herunterladen, darunter digitale Casinos und Sportwettenangebote. Auf Snapchat soll es wiederum möglich sein, Drogen zu erwerben – ein besonders schwerwiegender Verdacht, der die Frage aufwirft, wie effektiv Alterskontrollen und Inhaltsmoderation tatsächlich sind.
Brüssel betont, dass es sich bislang nicht um formelle Verfahren handelt. Die betroffenen Unternehmen können Stellung nehmen und gegebenenfalls Anpassungen vornehmen. Sollte die Kommission die Vorwürfe bestätigt sehen, drohen allerdings empfindliche Sanktionen. Bereits seit vergangenem Jahr läuft ein ähnliches Verfahren gegen den Facebook-Mutterkonzern Meta wegen unzureichender Schutzmaßnahmen für Kinder und Jugendliche.
Digital Services Act: Europas Druckmittel gegen Plattformgiganten
Der Digital Services Act gilt als Kernstück der europäischen Digitalpolitik. Er verpflichtet große Anbieter, illegale oder gefährdende Inhalte rascher zu entfernen, Transparenz über ihre Algorithmen herzustellen und Nutzern effektive Beschwerdemöglichkeiten zu bieten. Große Plattformen – sogenannte „Very Large Online Platforms“ – müssen zusätzlich jährliche Risikoanalysen vorlegen und unabhängige Audits durchlaufen.
In den USA stoßen diese Regelungen auf Kritik. Unter der Trump-Regierung warf Washington der EU vor, mit dem DSA protektionistische Ziele zu verfolgen. Auch Meta-Chef Mark Zuckerberg sprach von „institutionalisierter Zensur“. Dennoch hält Brüssel an seiner Linie fest: Plattformen mit erheblichem gesellschaftlichem Einfluss sollen stärker zur Verantwortung gezogen werden.
Chatkontrolle: Dänemark drängt, Deutschland zögert
Parallel zu den Kinderschutzerhebungen sorgt ein anderes EU-Vorhaben für Aufsehen: die geplante Chatkontrolle. Dänemark drängt auf eine schnelle Verabschiedung des Gesetzes, das Messenger-Dienste wie WhatsApp, Signal oder Threema verpflichten würde, private Chats automatisch auf kinderpornografische Inhalte zu durchsuchen.
Kritiker warnen, dieses sogenannte Client-Side-Scanning untergrabe die Ende-zu-Ende-Verschlüsselung und öffne die Tür für eine flächendeckende digitale Überwachung. Befürworter argumentieren hingegen, nur so ließen sich Missbrauchsdarstellungen effektiv bekämpfen.
In Deutschland sorgt das Vorhaben für politische Spannungen. Während Innenpolitiker offen für den dänischen Kurs sind, lehnt die CDU/CSU-Fraktion um Jens Spahn den Vorschlag ab. Der Schutz von Kindern dürfe nicht auf Kosten der Grundrechte gehen.
Die Diskussion um die Chatkontrolle offenbart ein zentrales Dilemma der digitalen Politik: Wie weit darf der Staat in private Kommunikation eingreifen, um Kinder zu schützen? Laut Entwurf sollen zunächst nur Bilder und Videos überprüft werden, doch Fachleute warnen, dass spätere Ausweitungen auf Text- oder Sprachnachrichten technisch leicht möglich wären.
Zahlreiche IT-Verbände und Bürgerrechtsorganisationen warnen vor Fehlalarmen, Sicherheitslücken und Datenabflüssen. Der Chaos Computer Club bezeichnet die Technologie als Einstieg in eine „dauerhafte Überwachungsinfrastruktur“. Auch Reporter ohne Grenzen und Amnesty International sehen darin eine Bedrohung der Pressefreiheit.
Messenger-Anbieter drohen indes mit Rückzug. Signal-Präsidentin Meredith Whittaker erklärte, man werde den europäischen Markt verlassen, sollte die Verschlüsselung aufgeweicht werden. Auch WhatsApp und Threema warnten vor einem Bruch des Vertrauensschutzes.
Europa im Ringen um digitale Ethik
Während die einen mehr Überwachung fordern, um Kinder im Netz zu schützen, warnen andere vor dem Verlust fundamentaler Freiheiten. Im EU-Parlament zeichnet sich bislang keine klare Linie ab. Eine Mehrheit der Abgeordneten plädiert dafür, Scans nur bei konkretem Verdacht und mit richterlicher Genehmigung zuzulassen.
Ursula von der Leyen will indes weiter Druck machen. Neben einer Altersgrenze für soziale Netzwerke, vergleichbar mit den Regelungen zu Tabak oder Alkohol, testet die EU derzeit einen digitalen Altersnachweis, der Kindern den Zugang zu nicht jugendfreien Inhalten verwehren soll.
Ob die EU damit tatsächlich den Spagat zwischen Freiheit und Sicherheit schafft, bleibt offen. Doch klar ist: Die kommenden Monate werden entscheidend dafür sein, welchen Kurs Europa im digitalen Raum einschlägt.