Zwischen Engagement und Rückzug: Quiet Quitting und Quiet Hiring verändern die Arbeitswelt
In der Arbeitswelt haben sich Begriffe wie „Quiet Quitting“ und „Quiet Hiring“ längst etabliert. Was zunächst nach einem Flüstern klingt, entpuppt sich bei genauerer Betrachtung als lautes Echo eines tiefgreifenden Umbruchs im Verhältnis zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern. Während die einen still und ohne offene Konfrontation den Rückzug aus übermäßiger Arbeitsbelastung proben, setzen andere Unternehmen auf interne Umstrukturierungen, um Personalengpässe zu kompensieren – meist ohne offizielle Neueinstellungen.
Quiet Quitting, zu Deutsch etwa „stille Kündigung“, meint keineswegs das tatsächliche Verlassen des Arbeitsplatzes. Vielmehr beschreibt es eine innere Distanzierung von der Arbeitskultur, in der Überstunden und ständige Erreichbarkeit als selbstverständlich gelten. Der Begriff gewann an Popularität durch ein virales TikTok-Video des Users Zaid Zepplin im Jahr 2022. Seine Botschaft war klar: „Arbeit ist nicht dein Leben.“ Millionen junger Nutzer identifizierten sich mit dieser Aussage, insbesondere Vertreter der Generation Z.
Dabei ist Quiet Quitting nicht mit Faulheit gleichzusetzen. Die betroffenen Arbeitnehmer erfüllen ihre vertraglichen Pflichten, ziehen jedoch klare Grenzen, was zusätzliche Aufgaben betrifft. Damit wehren sie sich gegen ausufernde Erwartungshaltungen, unbezahlte Mehrarbeit und eine Kultur, die Selbstaufopferung glorifiziert, aber selten honoriert.
Ursachen und Auslöser: Zwischen fehlender Anerkennung und Überforderung
Die Gründe für dieses Phänomen sind vielschichtig. Eine zentrale Rolle spielt das Gefühl mangelnder Wertschätzung. Viele Arbeitnehmer berichten davon, dass ihre Mehrarbeit weder belohnt noch anerkannt wird. Statt Dank erhalten sie E-Mails am Wochenende oder Anrufe im Urlaub – ein Zustand, der auf Dauer zu Frust führt. Die Reaktion: Ein bewusster Rückzug auf das vertraglich Notwendige.
Zudem leisten laut dem Statistischen Bundesamt 12 Prozent der Beschäftigten regelmäßig Überstunden. Selbst zehn Minuten täglich summieren sich auf über 38 Überstunden im Jahr. Die Erwartung, auch in der Freizeit verfügbar zu sein, lässt die Grenze zwischen Beruf und Privatleben verschwimmen – mit gesundheitlichen Folgen bis hin zum Burnout.
Entgegen der medialen Aufregung zeigt eine aktuelle wirtschaftspsychologische Studie, dass Quiet Quitting kein flächendeckendes Problem darstellt. Der ermittelte Mittelwert auf der fünfstufigen Quiet-Quitting-Skala lag bei 2,46 – unterhalb der mittleren Stufe. Nur 1,2 Prozent der Befragten zeigten eine besonders starke Ausprägung des Phänomens. Zudem ergab die Befragung keine signifikante Zunahme über die letzten fünf Jahre.
Zwischen Männern und Frauen gibt es keine nennenswerten Unterschiede. Mit zunehmendem Alter sinkt die Tendenz zum Quiet Quitting leicht. Führungskräfte sind seltener betroffen als Angestellte ohne Führungsverantwortung, und ein höherer Bildungsgrad geht mit geringerer Wahrscheinlichkeit für Quiet Quitting einher.
Die Untersuchung macht deutlich: Quiet Quitting hängt eng mit dem sogenannten affektiven Commitment zusammen – der emotionalen Bindung an das Unternehmen. Wer sich mit seiner Arbeit identifiziert, ist weniger geneigt, sich innerlich zu distanzieren. Umgekehrt steigt mit geringer Arbeitszufriedenheit nicht nur die Bereitschaft zur stillen Kündigung, sondern auch die Absicht, den Arbeitsplatz gänzlich zu wechseln.
Ein weiterer Aspekt ist das sogenannte Organizational Citizenship Behavior – freiwilliges Engagement, das über das Pflichtmaß hinausgeht. Quiet Quitter zeigen dieses Verhalten deutlich seltener, was langfristig die Innovationskraft und Kollegialität innerhalb eines Unternehmens beeinträchtigen kann.
Die stille Expansion: Quiet Hiring als Antwort auf den Fachkräftemangel
Parallel zur stillen Kündigung etablieren sich in Unternehmen zunehmend Strategien des Quiet Hiring. Statt neue Mitarbeiter einzustellen, werden bestehende Kräfte mit zusätzlichen Aufgaben betraut. Für Arbeitgeber bedeutet dies geringere Rekrutierungskosten, weniger Einarbeitungsaufwand und höhere Flexibilität. Für Beschäftigte kann Quiet Hiring Chancen eröffnen: neue Verantwortungsbereiche, Skill-Aufbau, Aufstiegsmöglichkeiten. Gerade Angestellte, die sich zuvor unterfordert fühlten, erfahren dadurch neue Motivation. Doch diese Medaille hat zwei Seiten.
Was als Förderung gedacht ist, kann aber auch schnell zur Überlastung führen. Wenn Mitarbeitende ohne adäquate Kompensation oder Anerkennung zusätzliche Pflichten übernehmen müssen, droht ein neuer Zyklus aus Frustration, Erschöpfung – und letztlich Quiet Quitting. Ohne klare Kommunikation und faire Rahmenbedingungen wird das Prinzip zur heimlichen Ausbeutung. Darüber hinaus kann Quiet Hiring zu Spannungen führen, wenn Mitarbeiter sich übergangen fühlen oder mit den neuen Aufgaben schlicht überfordert sind. Ohne begleitende Weiterbildung und strukturelle Unterstützung birgt die Strategie Risiken – für die psychische Gesundheit wie für die Teamdynamik.
Der Schlüssel liegt im Dialog – und in realistischer Erwartungssteuerung
Was lässt sich daraus für Unternehmen ableiten? Zunächst einmal: Der stille Rückzug vieler Beschäftigter ist kein unausweichliches Schicksal, sondern oft die Folge von Führungsschwächen, unrealistischen Erwartungen und fehlender Kommunikation. Führungskräfte sind gefragt, aktiv auf ihre Teams zuzugehen, Feedback zu ermöglichen und gemeinsam tragfähige Lösungen zu entwickeln. Gleichzeitig sollten Mitarbeitende frühzeitig kommunizieren, wenn sie sich überfordert oder ungerecht behandelt fühlen. Nur so lassen sich Fehlentwicklungen korrigieren, bevor sie in die innere Kündigung münden.
Quiet Quitting und Quiet Hiring sind keine Randphänomene mehr, sondern Ausdruck eines strukturellen Spannungsverhältnisses in der modernen Arbeitswelt. Während sich Beschäftigte nach einer besseren Work-Life-Balance sehnen, versuchen Unternehmen flexibel auf Personalknappheit zu reagieren.
Nicht jeder Dienst nach Vorschrift ist ein Alarmzeichen – doch wenn viele Mitarbeitende innerlich gekündigt haben, ist Handeln gefragt. Ebenso birgt jede Personalmaßnahme ohne Perspektive auf Anerkennung das Risiko, Motivation und Leistung zu untergraben. Die Zukunft der Arbeit entscheidet sich nicht auf TikTok, sondern in der Art und Weise, wie Unternehmen ihre Mitarbeiter sehen – und wie diese sich gehört fühlen.