Wenn Helfer zu Opfern werden: Gewalt im Krankenhaus nimmt zu

Die Gewalt gegen medizinisches Personal in deutschen Krankenhäusern hat ein besorgniserregendes Ausmaß erreicht. In vielen Kliniken häufen sich Übergriffe auf Ärzte, Pflegekräfte und weiteres medizinisches Fachpersonal – insbesondere in den Notaufnahmen. Die Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG) sowie Gesundheitsministerien einzelner Bundesländer schlagen Alarm: Aus einer Vielzahl von Studien und Statistiken geht hervor, dass es sich nicht mehr um vereinzelte Vorfälle handelt, sondern um ein strukturelles Problem.

So dokumentierte beispielsweise das hessische Gesundheitsministerium allein für das Jahr 2024 insgesamt 189 gewalttätige Angriffe in Kliniken – betroffen waren 34 Ärzte sowie 155 Pflegekräfte. Im Jahr zuvor lagen die Zahlen mit 33 ärztlichen und 173 pflegerischen Opfern ähnlich hoch. In Ballungsräumen mit mehreren Kliniken werden dabei überdurchschnittlich viele Fälle registriert. Doch auch in ländlichen Regionen bleibt das Problem präsent.

Ursachen: Zwischen Überforderung und Eskalation

Die Gründe für die zunehmende Aggressivität gegenüber Klinikpersonal sind vielfältig. An vorderster Stelle stehen lange Wartezeiten in den Notaufnahmen, oft verursacht durch die Überlastung der stationären Versorgung und fehlende Patientensteuerung. Patienten, die nicht nachvollziehen können, dass die Reihenfolge der Behandlung nach Dringlichkeit und nicht nach Eintreffzeit erfolgt, reagieren zunehmend mit Frust – und nicht selten mit Gewalt.

Auch Sprachbarrieren, psychische Erkrankungen, Suchterkrankungen und Konflikte zwischen Besuchern tragen zur Eskalation bei. Besonders häufig betroffen sind neben den Notaufnahmen auch psychiatrische Abteilungen sowie Nacht- und Wochenendschichten, in denen das Personal ohnehin unterbesetzt ist.

Die Landesärztekammer berichtet von einem kontinuierlichen Anstieg der Aggressionsmeldungen seit 2019. Während der Corona-Pandemie sei es zu einem signifikanten Anstieg der Gewalt gekommen – mit einem Schwerpunkt in der Allgemeinmedizin, Psychiatrie und Psychotherapie. Noch heute wirken viele gesellschaftliche Krisen nach und äußern sich in einem gestiegenen Spannungspegel innerhalb der Bevölkerung.

Bundesweit gibt es bislang keine einheitliche Erhebung über Gewaltvorfälle in Gesundheitseinrichtungen. Dennoch zeichnen Umfragen ein eindeutiges Bild: Das Deutsche Krankenhausinstitut (DKI) befragte 2023 und 2024 Kliniken in ganz Deutschland – rund 75 Prozent berichteten von einer Zunahme der Gewalt gegen das Personal. In 91 Prozent der befragten Krankenhäuser kam es zu Übergriffen in den Notaufnahmen, insbesondere betroffen war dabei der Pflegedienst.

Hinzu kommt eine nicht unerhebliche Dunkelziffer. Viele Fälle verbaler Gewalt oder weniger schwerwiegender körperlicher Angriffe werden von den Betroffenen gar nicht erst zur Anzeige gebracht. Die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) ermittelte in einer Befragung unter niedergelassenen Ärzten, dass etwa 80 Prozent der Teilnehmenden im letzten Jahr zumindest verbale Gewalt erfahren haben.

Schutz durch Technik, Schulungen und neue Konzepte

Angesichts der zunehmenden Bedrohungslage ergreifen viele Krankenhäuser eigene Schutzmaßnahmen. Neben baulichen Veränderungen wie Schleusen und gesicherten Einlassbereichen kommen verstärkt auch Sicherheitsdienste zum Einsatz. In einigen Häusern werden Schichtdienste mit körperlich robusten Pflegekräften besetzt, die in Deeskalations- und Selbstverteidigungstechniken geschult wurden.

Technische Mittel wie Panikknöpfe und Videoüberwachung in öffentlich zugänglichen Bereichen ergänzen die Sicherheitsstrategien. Dabei muss der Datenschutz stets gewahrt bleiben – insbesondere, wenn es um sensible Bereiche der medizinischen Behandlung geht. In Behandlungsräumen selbst sind Kameras in der Regel tabu.

Ein besonders kontrovers diskutierter Punkt ist der Einsatz von Bodycams, wie ihn das Klinikum Dortmund derzeit prüft. Dort sollen die Kameras vorerst testweise im Empfangsbereich der Notaufnahme verwendet werden. Eingeschaltet würden sie ausschließlich in eskalierenden Situationen, niemals während der Behandlung. Die Aufnahmen müssten – so die DKG – umgehend gelöscht werden, wenn sie nicht der Beweissicherung dienen.

Deeskalation beginnt mit der Vorbereitung

Nicht nur technische Hilfsmittel sollen das Klinikpersonal schützen. Auch die Schulung im Umgang mit aggressiven Patienten rückt in den Fokus. Die Carl-Oelemann-Schule der Landesärztekammer Hessen bietet seit 2024 spezielle Fortbildungen für medizinische Fachangestellte an, die Lösungsstrategien im Umgang mit Gewalt aufzeigen. Die Nachfrage ist hoch – alle Veranstaltungen sind ausgebucht.

Ein bewährter Ansatz innerhalb solcher Schulungen ist die Etablierung von sogenannten „Code-Wörtern“, mit denen Mitarbeitende diskret Hilfe anfordern können. Damit kann das Personal in kritischen Situationen Unterstützung mobilisieren, ohne das Eskalationspotenzial weiter zu erhöhen.

Darüber hinaus wird empfohlen, hausinterne Notfallpläne zu entwickeln, in denen klare Zuständigkeiten, Kommunikationswege und Verhaltensregeln bei Gewaltsituationen definiert sind. Solche Konzepte fördern die Handlungssicherheit der Mitarbeitenden und tragen dazu bei, Bedrohungslagen frühzeitig zu entschärfen.

Sicherheit im Krankenhaus braucht ganzheitliche Lösungen

Die Häufung von Gewaltvorfällen im Gesundheitswesen verweist auch auf tiefere gesellschaftliche Probleme. Die zunehmende Überlastung des Kliniksystems, gepaart mit einem sinkenden Vertrauen in öffentliche Institutionen und einer steigenden Frustration in Teilen der Bevölkerung, bildet einen Nährboden für Aggression. Der Personalmangel verschärft die Situation zusätzlich – weniger Personal bedeutet weniger Zeit für Patienten, was wiederum die Unzufriedenheit steigert.

Die Landesregierung Hessens und andere politische Akteure verurteilen Angriffe auf medizinisches Personal scharf. Gleichzeitig betonen sie, dass konkrete Schutzmaßnahmen vor Ort in der Verantwortung der Kliniken liegen. Diese stehen jedoch oft vor der Herausforderung, Sicherheitsanforderungen mit begrenzten Budgets und personellen Ressourcen umsetzen zu müssen.

Die steigende Zahl von Übergriffen auf medizinisches Personal ist ein Alarmsignal – nicht nur für das Gesundheitswesen, sondern für die Gesellschaft insgesamt. Es reicht nicht aus, punktuelle Maßnahmen zu ergreifen oder einzelne Vorfälle zu ahnden. Erforderlich sind ganzheitliche Strategien, die sowohl die Sicherheit des Personals verbessern als auch die strukturellen Ursachen der Gewalt in den Blick nehmen.

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