Verzweiflung über US-Gesundheitssystem

Der Mord an Brian Thompson, dem Chef des milliardenschweren Krankenversicherers UnitedHealthcare, hat nicht nur die USA erschüttert, sondern auch eine Debatte über die tiefen Probleme des amerikanischen Gesundheitssystems entfacht. Der mutmaßliche Täter, Luigi Mangione, wurde in sozialen Medien schnell als Held gefeiert – eine Reaktion, die die Verzweiflung vieler Amerikaner über ein System offenbart, das für viele unerreichbar bleibt.

Noch bevor Mangione, ein 26-jähriger Absolvent einer Eliteuniversität, festgenommen wurde, kursierten in den sozialen Medien Bilder, die ihn als eine Art „Robin Hood“ des 21. Jahrhunderts stilisierten. Er soll den Versicherungschef mitten in New York erschossen haben. Trotz der Schwere der Tat – oder gerade wegen ihrer Symbolik – wurde er in bestimmten Kreisen glorifiziert. Die Polizei warnte vor einer Verherrlichung des mutmaßlichen Mörders und vor potenziellen Nachahmern. Der Gouverneur von Pennsylvania, Josh Shapiro, kritisierte die zunehmende Glorifizierung des Angeklagten und nannte die Reaktionen auf den Mord beunruhigend. Gleichzeitig legte der Fall den Frust vieler Amerikaner offen, die sich von einem Gesundheitssystem betrogen fühlen, das ihnen nicht gerecht wird.

Ein teures und ungleiches System

Das amerikanische Gesundheitssystem ist eines der teuersten weltweit. Nach Angaben des Gesundheitsdaten-Trackers Peterson-KFF haben die USA die höchsten Pro-Kopf-Ausgaben für Gesundheitsversorgung. Hohe Medikamentenpreise, überdurchschnittliche Arzthonorare und enorme Verwaltungskosten treiben die Kosten in die Höhe. Gleichzeitig bleibt der Zugang zu medizinischer Versorgung für viele Amerikaner ein Luxus. Rund acht Prozent der Bevölkerung sind trotz der Einführung von Programmen wie „Obamacare“ nicht krankenversichert.

Die Versorgung selbst gilt als technisch fortschrittlich, mit Spitzenforschung und modernsten Technologien. Doch die Qualität der Behandlung hängt stark von der jeweiligen Region, dem Krankenhaus und dem Versicherungsstatus ab. Während einige Zugang zu den besten medizinischen Leistungen haben, fallen andere durchs Raster. Das Ergebnis: Schulden in Milliardenhöhe und unbehandelte Krankheiten.

Wie Versicherungen den Alltag bestimmen

In den USA ist die Krankenversicherung oft an den Arbeitsplatz gekoppelt. Arbeitgeber übernehmen in der Regel einen Teil der Beiträge. Doch ein Jobwechsel oder Arbeitslosigkeit bedeutet häufig den Verlust des Versicherungsschutzes. Darüber hinaus müssen Versicherte hohe Zuzahlungen leisten. Selbst mit Versicherung betragen die Selbstbeteiligungen oft mehrere Tausend US-Dollar pro Jahr.

Viele Versicherungsanbieter arbeiten mit eingeschränkten Netzwerken von Ärzten und Krankenhäusern zusammen. Behandlungen außerhalb dieser Netzwerke werden entweder nur teilweise oder gar nicht gedeckt. Zudem müssen kostenintensive Behandlungen wie Operationen häufig im Voraus genehmigt werden. Dieser Prozess kann sich hinziehen und wichtige Eingriffe verzögern.

Die Wut der Amerikaner: Frust, Verzweiflung und Ungleichheit

Laut einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Gallup sind 81 Prozent der Amerikaner unzufrieden mit den Kosten für medizinische Versorgung. Hohe Kosten führen dazu, dass viele Menschen notwendige Behandlungen meiden. Eine erhebliche Anzahl von Erwachsenen hat Schulden von über 1.000 US-Dollar aufgrund medizinischer Rechnungen, während ein Prozent der Bevölkerung Schulden in Höhe von mehr als 10.000 US-Dollar hat.

Die Ungleichheit des Systems wird besonders deutlich, wenn man die Lebenserwartung betrachtet. Obwohl die USA über eines der teuersten Gesundheitssysteme verfügen, rangiert das Land bei der Lebenserwartung weltweit nur auf Platz 42.

Die Rolle von „Obamacare“

Mit der Einführung der Gesundheitsreform durch Barack Obama im Jahr 2010 erhielten etwa 20 Millionen Amerikaner erstmals Zugang zu einer Krankenversicherung. Versicherer durften Menschen mit bestehenden Erkrankungen nicht mehr abweisen, und die Kosten für viele wurden gesenkt. Doch das System bleibt für viele unerschwinglich. Hohe Prämien und unzureichende Leistungen sorgen weiterhin für Frustration.

Der Fall wirft die dringende Frage auf, wie ein gerechteres und bezahlbares Gesundheitssystem geschaffen werden kann. Die glorifizierende Darstellung des mutmaßlichen Mörders zeigt, wie verzweifelt viele Menschen nach einem Wandel suchen. Die USA stehen vor der Aufgabe, den Zugang zu medizinischer Versorgung für alle zu gewährleisten, ohne dass einzelne durch die Kosten ruiniert werden.