Ungleiche Kita-Versorgung in Deutschland: Wo frühe Bildung am dringendsten gebraucht wird, fehlen die Plätze

In Deutschland soll Chancengleichheit bereits im frühkindlichen Bildungsbereich ansetzen. Doch die Realität widerspricht diesem Anspruch: Eine neue Studie des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) belegt, dass gerade in sozial schwächeren Stadtteilen erheblich weniger Kita-Plätze zur Verfügung stehen als in wohlhabenderen Vierteln. Zwar habe der seit 2013 geltende Rechtsanspruch auf einen Kita-Platz ab dem zweiten Lebensjahr zu einem signifikanten Ausbau geführt, jedoch sei die Nachfrage vielerorts schneller gestiegen als das Angebot.

Die Untersuchung, die sich auf über 2.600 Stadtviertel in 52 Städten stützt, zeigt, dass schätzungsweise 300.000 Kinder zuletzt keinen Betreuungsplatz finden konnten. Besonders alarmierend: Ausgerechnet dort, wo Kinder am meisten von frühkindlicher Bildung profitieren könnten, bleibt der Zugang am eingeschränktesten.

Ein Blick auf die einzelnen Städte offenbart teils gravierende Unterschiede in der Versorgungslage. Während in Heidelberg auf eine Kita durchschnittlich 61 Kinder kommen, müssen sich in Gelsenkirchen und Krefeld jeweils rund 166 Kinder eine Einrichtung teilen. Besonders prekär ist die Lage in jenen Stadtteilen, in denen viele Familien von staatlichen Leistungen abhängig sind: Hier liegt die Versorgung rund fünf Prozent unter dem städtischen Durchschnitt, während in den wohlhabendsten Vierteln eine etwa 16 Prozent bessere Ausstattung festgestellt wurde.

Innerhalb der Städte ergeben sich damit teilweise doppelt bis vierfach bessere Bedingungen für Kinder aus einkommensstarken Haushalten gegenüber jenen aus benachteiligten Verhältnissen. Diese Ungleichheit ist nicht nur zwischen, sondern auch innerhalb der Städte klar erkennbar: In wirtschaftlich besser aufgestellten Stadtteilen gibt es durchschnittlich ein Drittel mehr Kitas pro Kind.

Ursachen für die ungleiche Kita-Verteilung

Die Hauptgründe für diese Schieflage sind vielfältig. Besonders relevant erscheint, dass konfessionelle und privat-gemeinnützige Träger – die mittlerweile etwa zwei Drittel aller Kita-Plätze stellen – ihre Einrichtungen bevorzugt in prosperierenden Vierteln eröffnen. Kommunen tragen ebenfalls dazu bei, indem sie bei der Planung neuer Kitas oft die Nachfrage und den politischen Druck besser gestellter Bevölkerungsschichten stärker berücksichtigen.

Hinzu kommt, dass Familien mit geringerem sozialem Status oder Migrationshintergrund häufiger Schwierigkeiten haben, sich über Betreuungsangebote zu informieren und Plätze rechtzeitig zu sichern. Dabei spielen Kostenfragen laut den Forschern zwar eine Rolle, sie sind jedoch durch die inzwischen weit verbreitete Gebührenfreiheit in vielen Kommunen deutlich in den Hintergrund getreten.

Die IW-Studie beschreibt die Auswirkungen dieser Ungleichheit als „fatal“. Die ungleiche Verteilung der Betreuungsangebote führe nicht nur zu einem erschwerten Zugang zur frühkindlichen Bildung, sondern verfestige auch bestehende soziale Ungleichheiten. Der Teufelskreis der Bildungsbenachteiligung beginnt also bereits im frühesten Alter: Kinder aus ärmeren Verhältnissen haben nicht nur schlechtere Chancen auf einen Kita-Platz, sondern starten dadurch auch mit Nachteilen in die Schullaufbahn.

Dies deckt sich mit Ergebnissen der internationalen PISA-Studie, wonach in kaum einem anderen OECD-Land der Bildungserfolg so stark von der sozialen Herkunft abhängt wie in Deutschland. Bereits in Mathematik, Lesen und Naturwissenschaften zeigen sich deutliche Leistungsunterschiede entlang sozio-ökonomischer Linien.

Ein weiteres großes Problem, das die Kita-Situation zusätzlich verschärft, ist der gravierende Fachkräftemangel. Laut dem „Ländermonitoring Frühkindliche Bildungssysteme“ der Bertelsmann Stiftung sinkt der Anteil ausgebildeter Fachkräfte in Kitas kontinuierlich. Während 2017 noch 41 Prozent der Kita-Teams überwiegend über eine einschlägige Qualifikation verfügten, traf dies 2023 nur noch auf rund 32 Prozent zu.

Diese Entwicklung hat direkte Auswirkungen auf die Qualität der Betreuung. Eine dialogorientierte Sprachförderung, essentielle individuelle Förderung oder gezielte Integrationsmaßnahmen sind unter den aktuellen Bedingungen häufig nicht mehr möglich. Zudem erhöht die ständige Überlastung die Krankheitsraten unter Erzieherinnen und Erziehern erheblich, was die Personalsituation weiter verschärft.

Notwendige Reformen: Mehr Personal, bessere Bezahlung, gezielte Förderung

Verbände und Experten sehen dringenden Handlungsbedarf, um den Bildungsauftrag der Kitas überhaupt noch erfüllen zu können. Sie fordern insbesondere:

  • Mehr qualifiziertes Fachpersonal: Die Ausbildungskapazitäten an Fach- und Hochschulen müssten deutlich erhöht werden.
  • Attraktivere Arbeitsbedingungen: Eine bessere Gehaltsstruktur und kontinuierliche Aufstiegschancen innerhalb des Berufsfeldes seien notwendig, um Fachkräfte langfristig zu halten.
  • Multiprofessionelle Teams: Sozialpädagogen, Sprachförderkräfte und Fachkräfte für Inklusion sollten die bestehenden Teams ergänzen, um Kindern mit besonderem Förderbedarf besser gerecht werden zu können.
  • Ausbau kommunaler Kitas: Um den Einfluss privat-gemeinnütziger Träger zu verringern und gezielt auch benachteiligte Viertel zu stärken, müsste der Anteil kommunaler Einrichtungen erhöht werden.

Die Forderung nach einer gezielteren Bildungsinvestition ist klar: Gelder, die in den Ausbau frühkindlicher Bildung fließen, müssen insbesondere dort ankommen, wo der Bedarf am größten ist. Studienautor Matthias Diermeier betont, dass es andernfalls zu einer dauerhaften Verfestigung sozialer Ungleichheiten kommen werde.

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