Umweltverbände fürchten Rückschritte: Die Klimapolitik der neuen Bundesregierung
Mit dem neuen Koalitionsvertrag zwischen CDU und SPD unter Friedrich Merz steht Deutschland erneut vor einem klimapolitischen Wendepunkt. Zwar bekennen sich beide Parteien zur Klimaneutralität bis 2045, doch Umweltverbände und Experten hegen massive Zweifel, ob dieses Ziel mit den nun formulierten Maßnahmen überhaupt erreichbar ist. Der Vertrag wirkt auf den ersten Blick ambitioniert – bei näherem Hinsehen bleiben jedoch viele Absichten vage, während konkrete Rückschritte klar benannt sind. Kritiker sprechen von einem drohenden „klimapolitischen Stillstand“.
Die Koalition hebt die Bedeutung erneuerbarer Energien wie Wind, Sonne, Bioenergie, Wasserkraft und Geothermie hervor. Insbesondere der Netzausbau und der Aufbau von Speichertechnologien sollen forciert werden, um den schwankenden Stromerträgen aus Wind- und Solarkraftwerken zu begegnen. Doch anstelle eines entschlossenen Ausbaus setzt die Regierung verstärkt auf Wirtschaftlichkeit. In der Praxis bedeutet das: Wo der Solarboom bisher erfolgreich war, drohen nun Einschränkungen, weil Netzüberlastungen an sonnigen Tagen aufgetreten sind. Zusätzlich wird über mögliche Engpassgebiete bei der Windkraft diskutiert – Maßnahmen, die laut Experten wie Manfred Fischedick die Energiewende eher ausbremsen als beschleunigen könnten.
Neue Gaskraftwerke: Rückschritt oder Brückentechnologie?
Ein zentrales Element der neuen Energiepolitik ist der massive Ausbau von Gaskraftwerken – bis zu 20 Gigawatt Leistung sind geplant, deutlich mehr als bisher vorgesehen. Diese sollen die Versorgungssicherheit in Zeiten geringer erneuerbarer Stromerzeugung garantieren. Während frühere Pläne vorsahen, neue Anlagen spätestens ab Mitte der 2030er-Jahre wasserstofffähig zu machen, bleibt dies im aktuellen Koalitionsvertrag diffus. Hinzu kommt: Die CDU hat durchgesetzt, dass neue Anlagen mit CO₂-Abscheidung ausgestattet werden dürfen – eine Technik, die von Umweltverbänden kritisch gesehen wird, weil sie fossile Energieträger zementieren könnte.
Zwar bleibt es beim Ziel einer Treibhausgasminderung um 65 Prozent bis 2030 gegenüber 1990, doch konkrete Maßnahmen zur Schließung der bestehenden Lücke fehlen. Der Präsident des Wuppertal Instituts, Fischedick, sieht hier erheblichen Nachbesserungsbedarf. Grünen-Politiker werfen der Koalition vor, sie verstecke ihre Untätigkeit hinter großen Zielen, ohne wirksame Instrumente zu liefern.
Besonders in den Sektoren Gebäude und Verkehr, die bislang als Nachzügler beim Klimaschutz gelten, lässt der Vertrag klare Maßnahmen vermissen. So soll das von der Vorgängerregierung geplante Gebäudeenergiegesetz gestrichen werden – ohne klaren Ersatz. Zwar wird betont, dass der Heizungsumstieg fortgeführt werden soll, doch unklar bleibt, wie das gelingen soll.
Verkehrspolitik mit Tempolimit-Tabu
Die Mobilitätswende scheint unter Schwarz-Rot kaum Priorität zu genießen. Zwar wird das Deutschlandticket über 2025 hinaus verlängert und die Ladeinfrastruktur für E-Fahrzeuge weiter ausgebaut. Auch klimaneutrale Busflotten im ÖPNV sollen gefördert werden. Doch insgesamt bleibt der Wandel im Verkehrssektor blass. Ein Tempolimit bleibt tabu, ebenso fehlt eine Strategie zur Vermeidung von Verkehr. Fischedick sieht daher keine ausreichenden Impulse, um aus dem „Problemsektor Verkehr“ einen wirksamen Beitrag zum Klimaschutz zu machen.
Das Bekenntnis zur Elektromobilität bleibt bestehen, doch die Umsetzung zeigt Schwächen. Zwar wird der Kauf von E-Autos steuerlich begünstigt, doch profitieren vor allem Käufer teurer Modelle. Umweltverbände kritisieren, dass günstige, alltagstaugliche Fahrzeuge für breite Bevölkerungsschichten fehlen. Zudem bleibt die „Technologieoffenheit“, auf die die Union pocht, ein diffuser Begriff – gerade angesichts europäischer Vorgaben, die den Verbrenner langfristig ausschließen.
Streitpunkt Ressortverteilung: Kein Klimaschutz aus einem Guss
Die organisatorische Aufteilung der Zuständigkeiten birgt zusätzlichen Konfliktstoff: Das Thema Klimaschutz wird vom Wirtschafts- und Energieministerium abgetrennt und dem Umweltministerium überlassen. Diese Trennung erinnert an die Zeit vor 2021, in der eine einheitliche Klimastrategie ebenfalls scheiterte.
Zentrale Instrumente wie der europäische Emissionshandel und die nationale CO₂-Bepreisung werden zwar gestärkt. Doch die Öffnung für sogenannte Offsetting-Maßnahmen im Ausland – also die Verlagerung von CO₂-Einsparungen in Drittstaaten – wird von Experten wie Fischedick als riskant bewertet. Bisherige Erfahrungen zeigen, dass solche Kompensationen häufig nicht zur realen Emissionsminderung beitragen.
Kein Comeback der Atomkraft, aber Rückfall bei fossiler Energie
Ein Lichtblick: Die Reaktivierung der sechs kürzlich abgeschalteten Kernkraftwerke ist endgültig vom Tisch. Damit wurde ein kostspieliger und energiepolitisch widersinniger Rückschritt verhindert. Gleichzeitig aber wird der Ausstieg aus der Kohle bis spätestens 2038 zwar bestätigt – ohne jedoch neue Impulse für den beschleunigten Umstieg zu liefern. Im Gegenteil: Die längere Nutzung von Gaskraftwerken und eine zögerliche Netzplanung gefährden das Ziel, fossile Energieträger rasch hinter sich zu lassen.
Die neue schwarz-rote Koalition präsentiert sich als Sachwalterin des Pariser Klimaabkommens und der Klimaneutralität bis 2045. Doch die konkreten Maßnahmen bleiben weit hinter den selbst gesetzten Zielen zurück.