Thalia wagt den Schritt in die Spielzeugwelt – Buchhändler setzt auf neue Geschäftsfelder und Stadtbelebung
Der Buchhändler Thalia, einer der größten Akteure im deutschsprachigen Buchhandel, erweitert sein Geschäftsfeld in eine Richtung, die auf den ersten Blick ungewöhnlich erscheinen mag: das Spielwarensegment. Mit der Eröffnung einer eigenen Spielwarenkette unter dem Namen „Thalia Spielzeit“ will das Unternehmen nicht nur auf Marktveränderungen reagieren, sondern zugleich ein Zeichen für lebendige Innenstädte setzen. Der erste Standort soll im November in einem Einkaufszentrum in Lüdenscheid (Nordrhein-Westfalen) eröffnen – weitere Filialen sind bereits in Planung, auch wenn konkrete Städte bislang nicht genannt wurden.
Antwort auf das Ladensterben im Einzelhandel
Thalia-Chef Ingo Kretzschmar bezeichnet die neue Sparte als ein „gesellschaftliches Signal“. Der Rückzug klassischer Spielwarenhändler aus den Innenstädten hinterlasse vielerorts Lücken im Stadtbild – Lücken, die Thalia künftig füllen will. Das Unternehmen sieht sich damit in einer Rolle, die über das reine Wirtschaftliche hinausgeht: als Akteur, der den Strukturwandel des stationären Handels aktiv mitgestalten will.
Die Entscheidung kommt zu einem Zeitpunkt, an dem der Einzelhandel in Deutschland mit erheblichen Herausforderungen zu kämpfen hat. Laut einer Prognose des Handelsverbands Deutschland (HDE) werden im Jahr 2025 rund 4.500 Geschäfte dauerhaft schließen – eine Entwicklung, die den Druck auf die Innenstädte weiter erhöht. Lag die Zahl der Einzelhandelsbetriebe 2015 noch bei über 370.000, rechnet der Verband bis 2025 nur noch mit etwa 300.000. Neben dem verhaltenen Konsumklima tragen auch der Fachkräftemangel und fehlende Nachfolger zu diesem Negativtrend bei.
HDE-Präsident Alexander von Preen fordert daher strukturelle Anpassungen: Mietverträge müssten stärker umsatzabhängig gestaltet werden, damit kleinere Händler finanziell flexibel bleiben. Zudem seien steuerliche Anreize notwendig, um Investitionen in Ladenbau, Digitalisierung oder energetische Modernisierung wieder attraktiver zu machen. Nur so könne es gelingen, die Attraktivität der Innenstädte zu sichern – ein Ziel, dem sich Thalia nun ebenfalls verschrieben hat.
Vom Buch zum Baustein – Thalia betritt neues Terrain
Die Expansion in den Spielwarenhandel ist für Thalia kein spontaner Kurswechsel, sondern die Fortsetzung einer strategischen Entwicklung. In den vergangenen Jahren hat das Unternehmen bereits die Spielwarenketten Krömer und Toysino übernommen, die zusammen 39 Standorte betreiben. Hinzu kommen zwei eigenständige Spielzeuggeschäfte in Münster, die bereits erfolgreich unter der neuen Dachmarke integriert wurden.
Mit „Thalia Spielzeit“ will das Unternehmen nun eine eigenständige Fachhandelsmarke aufbauen, die sich bewusst vom klassischen Buchsortiment abhebt, aber dennoch thematische Schnittmengen nutzt. Bücher und Spiele, so die Idee, seien komplementäre Produkte, die Familien und Kinder gleichermaßen ansprechen. So soll in den neuen Läden ein Umfeld entstehen, das Bildung, Kreativität und Unterhaltung verbindet – ein Konzept, das Thalia bereits in seinen kombinierten Buch- und Spielwarenabteilungen testweise erfolgreich umgesetzt hat.
Wachstum trotz schwieriger Rahmenbedingungen
Trotz der angespannten Konsumlage bleibt Thalia auf Wachstumskurs. Das Unternehmen meldete für das Geschäftsjahr 2024/25 (Ende September) einen Umsatzanstieg um 14 Prozent auf rund 2,2 Milliarden Euro. Angaben zum Gewinn wurden nicht veröffentlicht, doch die Zahlen zeigen, dass die traditionsreiche Buchhandelskette ihren Wandel erfolgreich vorantreibt.
Mit 365 Filialen in Deutschland und 53 in Österreich sowie zahlreichen Online-Partnern sieht sich Thalia als Marktführer im deutschsprachigen Raum. In der Schweiz hält das Unternehmen zudem eine 50-Prozent-Beteiligung an der Orell Füssli Thalia AG, die 56 Buchhandlungen betreibt. Insgesamt beschäftigt die Gruppe rund 6.100 Mitarbeiter in Deutschland und etwa 900 in Österreich, hinzu kommen über 100 Partnerschaften mit inhabergeführten Buchhändlern.
Die Verzahnung von stationärem Handel und Onlinegeschäft gilt als eine der zentralen Stärken des Unternehmens. Während viele Wettbewerber unter der Dominanz des E-Commerce leiden, hat Thalia in den vergangenen Jahren massiv in digitale Vertriebskanäle investiert und seine Plattformstrategie ausgebaut. Der Erfolg zeigt sich in einer stabilen Kundenbindung und in der Möglichkeit, neue Produktsegmente wie Spielwaren schnell in bestehende Strukturen zu integrieren.
Ein Signal für Vielfalt und Innenstadtbelebung
Mit dem Schritt in die Spielzeugbranche verfolgt Thalia ein Ziel, das über betriebswirtschaftliche Kennzahlen hinausgeht: die Stärkung der Innenstädte als Orte der Begegnung und des Erlebens. Ingo Kretzschmar betont, dass der stationäre Handel gerade in Zeiten des Onlinebooms eine soziale Funktion habe. Buchhandlungen und Spielwarengeschäfte seien Orte, an denen Menschen stöbern, entdecken und miteinander ins Gespräch kommen – Erlebnisse, die kein Algorithmus ersetzen könne.
Das neue Konzept „Thalia Spielzeit“ steht damit auch für eine Rückbesinnung auf das haptische Einkaufserlebnis. Während viele Branchen auf digitale Effizienz setzen, zielt Thalia auf emotionale Bindung und Aufenthaltsqualität. Die Kombination aus Buch, Spiel und Erlebniswelt könnte sich als ein Modell erweisen, das sowohl wirtschaftlich tragfähig als auch gesellschaftlich relevant ist.
Ob sich das Konzept langfristig durchsetzt, wird sich zeigen. Der Spielwarenmarkt ist stark umkämpft, viele Wettbewerber kämpfen mit steigenden Kosten und rückläufiger Nachfrage. Dennoch könnte Thalia mit seiner Markenbekanntheit, seinem Logistiknetzwerk und der bestehenden Kundschaft entscheidende Vorteile besitzen. Thalia nutzt die Krise des Einzelhandels, um sich neu zu positionieren – nicht als reiner Buchverkäufer, sondern als moderner Handelsakteur mit gesellschaftlichem Anspruch.