Selbstständige in der Krise: Existenzängste, Auftragsmangel und die Suche nach Lösungen

Die wirtschaftliche Lage vieler Selbstständiger in Deutschland hat sich deutlich verschlechtert. Eine aktuelle Umfrage des Münchner Ifo-Instituts zeigt, dass mittlerweile fast jeder fünfte Selbstständige (18 Prozent) seine wirtschaftliche Existenz bedroht sieht. Dies stellt eine besorgniserregende Entwicklung dar, zumal der Anteil im Vorjahr noch bei 16,5 Prozent lag. Hauptgrund für diese negative Tendenz ist der zunehmende Auftragsmangel, der die kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) besonders hart trifft.

Auftragsmangel: Ein zentraler Faktor der Unsicherheit

Der Mangel an Aufträgen ist derzeit die größte Herausforderung für Selbstständige. Im Oktober klagten fast die Hälfte (48,5 Prozent) der Befragten über fehlende Bestellungen – ein Anstieg gegenüber den 44,4 Prozent im Juli. Damit übertrifft der Auftragsmangel in diesem Segment sogar die Gesamtwirtschaft, in der 41,5 Prozent der Unternehmen über zu wenige Aufträge berichten. Laut Katrin Demmelhuber, Expertin des Ifo-Instituts, spielt die Zurückhaltung großer Unternehmen bei der Vergabe neuer Aufträge eine Schlüsselrolle in dieser Entwicklung.

Gegenläufige Entwicklungen in der Gesamtwirtschaft

Während die Gesamtwirtschaft nach vier Rückgängen in Folge leichte Anzeichen der Stabilisierung zeigt, verschärft sich die Krise bei Selbstständigen und Kleinstunternehmen. Der Geschäftsklimaindex für diese Gruppe fiel im Oktober auf minus 22 Punkte und erreichte damit einen der niedrigsten jemals gemessenen Werte. Besonders negativ wurde die aktuelle Geschäftslage bewertet, die mit minus 14,1 Punkten nochmals schlechter ausfiel als im Vormonat (minus 11,2 Punkte). Hoffnungsvollere Erwartungen für die kommenden Monate konnten diesen Rückgang nur leicht abfedern.

Langfristiger Abwärtstrend bei Selbstständigen

Der Druck auf Selbstständige ist kein neues Phänomen. Bereits seit zwölf Jahren sinkt die Zahl der Selbstständigen in Deutschland kontinuierlich. Nach Angaben des Statistischen Bundesamts konnten Neugründungen diesen Rückgang nicht ausgleichen, da ihre Anzahl ebenfalls rückläufig ist. Besonders deutlich zeigte sich der Abwärtstrend während der Coronapandemie: Zwischen 2019 und 2020 sank die Zahl der kleinen Firmen um elf Prozent. Viele Experten befürchten, dass eine ähnliche Entwicklung erneut droht.

Selbstständige als Rückgrat der deutschen Wirtschaft

Selbstständige stellen einen wichtigen Pfeiler der deutschen Wirtschaft dar. Andreas Lutz, Vorstand des Verbands der Gründer und Selbstständigen Deutschland (VGSD), betont die Bedeutung dieser Gruppe: „89 Prozent der Unternehmen in Deutschland sind Selbstständige mit weniger als zehn Mitarbeitenden. Zusammen beschäftigen sie rund acht Millionen Erwerbstätige – eine Zahl, die die Automobilindustrie bei Weitem übertrifft.“ Trotzdem erfahren Selbstständige oft nicht die politische Unterstützung, die ihrer wirtschaftlichen Bedeutung gerecht würde.

Kleine Unternehmen brauchen politische Unterstützung

Matthias Henze, CEO des Internetdienstleisters Jimdo, fordert mehr Einsatz der Politik für Selbstständige: „Unternehmergeist ist die Quelle wirtschaftlicher Stärke. Was wir jetzt brauchen, ist eine Regierung, die diesen Unternehmergeist anfacht und den Selbstständigen den Rücken stärkt.“ Henze warnt, dass ohne gezielte Maßnahmen eine erneute Krise wie während der Pandemie droht. Er sieht in Selbstständigen nicht nur Innovationsmotoren, sondern auch entscheidende Akteure für die Diversifikation der Wirtschaft und die Schaffung von Flexibilität auf dem Arbeitsmarkt.

Dienstleistungssektor unter besonderem Druck

Ein Großteil der Selbstständigen ist im Dienstleistungssektor tätig, der besonders stark von der aktuellen Krise betroffen ist. Im Oktober setzte sich die Abwärtsbewegung des Geschäftsklimaindex in dieser Branche fort. Während es in einzelnen Bereichen wie Werbung und Marktforschung leichte Verbesserungen gab, verschlechterte sich die Lage in der Reisebranche und Gastronomie weiter. Der Preisdruck, die Unsicherheit und der schwierige Zugang zu Krediten belasten viele dieser Unternehmen zusätzlich.

Europaweite Perspektive: Kaum Hoffnung auf Aufschwung

Die schwierige Lage der Selbstständigen spiegelt auch die allgemeine wirtschaftliche Entwicklung in Deutschland wider. Laut der Herbstprognose der EU-Kommission wird das Bruttoinlandsprodukt (BIP) in diesem Jahr um 0,1 Prozent schrumpfen. Für 2024 wird ein Wachstum von lediglich 0,7 Prozent erwartet – das geringste unter allen Euro-Ländern. Diese düsteren Aussichten unterstreichen die Herausforderungen, vor denen die gesamte deutsche Wirtschaft steht.

Der Beitrag Selbstständiger zur Wirtschaft wird oft unterschätzt, doch ihre Bedeutung für Innovation und Arbeitsmarktflexibilität ist unbestritten. Um die Krise zu bewältigen, braucht es gezielte politische Maßnahmen, die nicht nur große Unternehmen, sondern auch kleine Firmen und Soloselbstständige stärken. Die zunehmenden Existenzängste und der wachsende Auftragsmangel machen deutlich, dass Selbstständige sich in einer der schwierigsten Phasen der letzten Jahrzehnte befinden. Ohne entschiedene Unterstützung könnten viele ihre Geschäftstätigkeit aufgeben – mit weitreichenden Folgen für die deutsche Wirtschaft.

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