Pflegeversicherung in der Krise: Droht die Zahlungsunfähigkeit?
Die gesetzliche Pflegeversicherung steht vor einem tiefen finanziellen Abgrund. Laut aktuellen Medienberichten könnte sie bereits im Februar 2025 zahlungsunfähig sein. Experten und politische Akteure debattieren nun fieberhaft über Wege, das System zu stabilisieren und die Beiträge für Versicherte zu sichern.
Die prekäre Lage der Pflegeversicherung ist keine Überraschung. Bereits in diesem Jahr wird ein Defizit von 1,5 Milliarden Euro erwartet. Für das Jahr 2025 wird das Minus sogar auf 3,5 Milliarden Euro geschätzt. Diese Zahlen sind alarmierend und verdeutlichen die Notwendigkeit sofortigen Handelns. Laut dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND) reichte die bereits durchgeführte Beitragserhöhung um 0,2 Prozentpunkte bei Weitem nicht aus, um die Lücke zu schließen. Es wird nun von einer Erhöhung von mindestens 0,25 bis 0,3 Prozentpunkten gesprochen, um eine Zahlungsunfähigkeit im kommenden Jahr abzuwenden.
Der allgemeine Beitragssatz für die Pflegeversicherung beträgt derzeit 3,4 Prozent, während Kinderlose einen höheren Satz von 4 Prozent zahlen. Doch selbst eine moderate Erhöhung würde für viele Arbeitnehmer und Arbeitgeber spürbare Mehrkosten bedeuten. In der Politik wird bereits diskutiert, die Sozialabgaben insgesamt zu erhöhen, was für die Bürger eine Rekordbelastung darstellen könnte. So könnten die kombinierten Abgaben der Kranken- und Pflegeversicherung um bis zu 0,7 Prozentpunkte ansteigen, was seit mehr als 20 Jahren nicht mehr der Fall war.
Gründe für die Krise
Die Ursachen für die finanzielle Schieflage der Pflegeversicherung sind vielschichtig. Zum einen hat die letzte Pflegereform, die den Eigenanteil der Pflegebedürftigen in stationären Einrichtungen begrenzen sollte, unerwartet hohe Kosten verursacht. Ein wesentlicher Faktor sind die steigenden Löhne im Pflegebereich, die durch die Reform zu einer Entlastung der Pflegekräfte führen sollten. Doch diese Lohnsteigerungen führten dazu, dass die Eigenanteile der Pflegebedürftigen über die ursprünglichen Annahmen hinaus anstiegen, was die Finanzsituation der Pflegekassen weiter belastet hat.
Zudem gibt es mehr Pflegebedürftige als ursprünglich prognostiziert wurde. Jährlich kommen etwa 320.000 Menschen neu in die Pflegebedürftigkeit, was die Pflegekassen zusätzlich unter Druck setzt. Der demografische Wandel spielt dabei eine entscheidende Rolle: Die Bevölkerung altert, und immer mehr Menschen sind auf Pflegeleistungen angewiesen.
Ein weiterer Faktor ist die Zweckentfremdung von Pflegebeiträgen für staatliche Leistungen. Während der Corona-Pandemie wurden erhebliche Summen aus den Kassen entnommen, um Tests und Boni für Pflegekräfte zu finanzieren. Diese Kosten sollten ursprünglich aus Steuermitteln getragen werden, belasten jedoch weiterhin die Pflegeversicherung. Laut einer von der DAK in Auftrag gegebenen Studie fehlen der Pflegeversicherung dadurch 5,9 Milliarden Euro, die dringend zurückerstattet werden müssten.
Die politischen Fronten
Obwohl die finanzielle Schieflage der Pflegeversicherung seit Langem bekannt ist, hat die Bundesregierung bisher keine nachhaltigen Reformen verabschiedet. Zwar gibt es einen Koalitionsvertrag, in dem sich SPD, FDP und Grüne auf staatliche Zuschüsse zur Stabilisierung der Pflegeversicherung verständigt haben, doch Finanzminister Christian Lindner (FDP) bremst hier. Er verweist auf die angespannte Haushaltslage und die Notwendigkeit, die Schuldenbremse einzuhalten.
Ohne eine Steuerfinanzierung, so warnen Vertreter der Pflegekassen, werde es nicht möglich sein, die Pflegeversicherung langfristig zu stabilisieren. Der Vorsitzende der DAK, Andreas Storm, betonte, dass gesamtgesellschaftliche Aufgaben, wie die Finanzierung von Pflegeboni oder Corona-Tests, aus Steuermitteln finanziert werden müssten, um eine massive Beitragserhöhung zu vermeiden.
Neben der Pflegeversicherung haben auch die Krankenkassen mit erheblichen Finanzierungsproblemen zu kämpfen. Hier liegt das Defizit bei 3,2 Milliarden Euro. Auch in diesem Bereich werden Beitragserhöhungen von bis zu 0,7 Prozentpunkten erwartet. SPD und Grüne drängen auf eine stärkere Belastung von Besserverdienenden, doch die FDP lehnt dies strikt ab.
Notwendige Reformen und mögliche Szenarien
Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) hat bereits eine umfassende Reform der Pflegeversicherung angekündigt, die sowohl kurzfristige als auch langfristige Lösungen bieten soll. Ein Finanzkonzept wird noch in diesem Herbst erwartet. Doch selbst Lauterbach räumt ein, dass die bisher umgesetzten Reformen nicht ausreichen, um die Pflegeversicherung auf sichere Beine zu stellen.
Eine der diskutierten Maßnahmen ist die Übernahme der medizinischen Behandlungspflege durch die Krankenkassen, was die Pflegekassen um etwa drei Milliarden Euro entlasten würde. Doch dies würde nur eine Verschiebung der Kosten bedeuten, da die Krankenkassen ihre Mehrkosten wiederum über Beitragserhöhungen auf die Versicherten umlegen würden.
Eine andere Option wäre die Rücknahme der geplanten Erhöhung der Pflegeleistungen um 4,5 Prozent, die ab dem 1. Januar 2025 in Kraft treten soll. Diese Maßnahme würde jedoch bei den Wählern im bevorstehenden Wahljahr kaum auf Zustimmung stoßen. Zudem wäre dies ein Rückschritt, da viele Pflegebedürftige auf diese Erhöhung angewiesen sind, um ihre steigenden Eigenanteile finanzieren zu können.
Ein düsteres Szenario: Was, wenn nichts passiert?
Sollte die Bundesregierung keine ausreichenden Reformen umsetzen, droht ein massiver Anstieg der Eigenanteile für Pflegebedürftige. Laut Lauterbach könnten diese in wenigen Jahren auf bis zu 4000 Euro monatlich ansteigen. Eine derartige Belastung wäre für viele Pflegebedürftige und ihre Familien kaum tragbar und würde die soziale Ungleichheit weiter verschärfen.
Doch nicht nur die Pflegebedürftigen sind betroffen. Auch die Pflegeheime und ambulanten Dienste könnten in finanzielle Schwierigkeiten geraten, wenn die Pflegekassen ihre Leistungen nicht mehr bezahlen können. Insgesamt sind rund fünf Millionen Menschen in Deutschland auf Pflegeleistungen angewiesen, und ohne finanzielle Stabilität der Pflegeversicherung droht ein Kollaps des gesamten Pflegesystems.