Pandemievertrag: WHO-Staaten einigen sich
Die Corona-Pandemie hat gravierende Schwächen im weltweiten Gesundheitsmanagement offengelegt. Im Angesicht einer rasanten Virusausbreitung agierten viele Staaten im Alleingang, horteten Impfstoffe, stritten um Schutzausrüstung und ließen strukturelle Ungleichheiten im Zugang zu lebensrettender medizinischer Versorgung offen zutage treten. Vor allem einkommensschwache Länder hatten das Nachsehen. Während in Europa bereits Booster-Impfungen verabreicht wurden, warteten in anderen Teilen der Welt Menschen noch auf ihre erste Dosis.
Diese chaotischen Zustände sollen sich nicht wiederholen. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) und ihre Mitgliedstaaten haben deshalb über drei Jahre hinweg an einem umfassenden Pandemievertrag gearbeitet, der nun kurz vor der Verabschiedung steht. Der Vertrag soll künftige Gesundheitskrisen besser beherrschbar machen und gerechtere Strukturen schaffen – sowohl präventiv als auch im Krisenfall.
Zentraler Bestandteil des Pandemievertrags ist die gerechte Verteilung medizinischer Ressourcen im Pandemiefall. In Artikel 9 verpflichten sich die Unterzeichnerstaaten erstmals dazu, gesetzliche Grundlagen zu schaffen, die eine faire Zuteilung von Impfstoffen, Therapeutika und Diagnostika ermöglichen. Pharmaunternehmen sollen künftig 20 Prozent ihrer Produktion an die WHO abgeben – zehn Prozent als Spende, der Rest zu stark vergünstigten Preisen. Dieser sogenannte Pabs-Mechanismus soll insbesondere Ländern mit schwächerer wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit zugutekommen.
Darüber hinaus wird ein Mechanismus zum Technologietransfer eingeführt. Pharmaunternehmen werden angehalten, ihr Know-how zu teilen, damit Produktionskapazitäten weltweit ausgebaut werden können. Ziel ist eine globale Medikamenten- und Impfstoffproduktion, die nicht mehr von wenigen Industrieländern dominiert wird. Gleichzeitig soll die Forschung beschleunigt werden: Genetische Informationen über Erreger – etwa DNA-Sequenzen – sollen schneller und offen geteilt werden, um die Entwicklung neuer Impfstoffe zu ermöglichen.
Prävention statt Reaktion
Nicht nur die Versorgung im Ernstfall, auch die Vorsorge wird im Vertrag gestärkt. Länder sollen ihre Gesundheitssysteme strukturell ausbauen und insbesondere die Überwachung zoonotischer Risiken – also der Übertragung von Krankheiten vom Tier auf den Menschen – deutlich verbessern. Frühzeitige Warnsysteme und engmaschiges Monitoring sollen helfen, künftige Ausbrüche schnell zu erkennen und lokal einzudämmen.
Angesichts des steigenden Pandemierisikos – die Impfstoffinitiative CEPI beziffert die Wahrscheinlichkeit einer weiteren Pandemie in naher Zukunft auf rund 38 Prozent – ist dieser präventive Fokus von großer Bedeutung. Gründe dafür sind die wachsende Ausbreitung des Menschen in bisher unberührte Tierhabitate sowie klimabedingte Veränderungen, die neue Übertragungswege für Erreger schaffen.
Internationale Solidarität vs. nationale Interessen
Trotz der angestrebten Einigkeit war der Weg zum Vertrag von teils hitzigen Auseinandersetzungen geprägt. Länder des globalen Südens drängten auf verbindlichere Zusagen für Technologietransfers und finanzielle Hilfen zur Stärkung ihrer Gesundheitssysteme. Europäische Delegationen hingegen forderten schärfere Maßnahmen zur Prävention. Der nun ausgehandelte Kompromiss bleibt in vielen Punkten vage – zahlreiche Regelungen gelten nur im Rahmen nationaler Gesetzgebung oder unter dem Vorbehalt gegenseitiger Zustimmung.
Wichtig ist: Der Vertrag besitzt keine supranationale Durchsetzungskraft. Die WHO kann weder Lockdowns anordnen noch Impfpflichten erlassen. Artikel 24 des Vertrags stellt explizit klar, dass der Organisation keine innerstaatliche Autorität zusteht. Sie bleibt eine beratende Instanz, keine exekutive Macht.
USA und andere Kritiker auf Distanz
Unter der Präsidentschaft von Donald Trump hatten die USA den Rückzug aus der WHO eingeleitet – ein Prozess, der 2026 formell abgeschlossen sein soll. Seither beteiligen sich die Vereinigten Staaten nicht mehr an den Vertragsverhandlungen. Auch Argentinien hat angekündigt, sich dem Konsens nicht anschließen zu wollen.
Kritik kommt auch aus anderen Richtungen. In sozialen Netzwerken kursieren seit Monaten Verschwörungstheorien, die WHO wolle mit dem neuen Vertrag diktatorische Machtbefugnisse erlangen. Solche Behauptungen wurden von offizieller Seite mehrfach widerlegt. Dennoch tragen sie dazu bei, das Vertrauen in globale Institutionen zu untergraben.
Ein weiterer Konfliktpunkt ist der Umgang mit geistigem Eigentum. Die Pharmaindustrie pocht darauf, dass der Patentschutz nicht aufgeweicht werden dürfe, um Innovationsanreize zu erhalten. Laut David Reddy, dem Geschäftsführer des internationalen Pharmaverbands IFPMA, müsse jede Beteiligung der Industrie auf freiwilliger Basis beruhen. Dies betrifft insbesondere den Technologietransfer und die Bereitstellung von Produktionskapazitäten für ärmere Länder.
Was jetzt noch aussteht
Obwohl der Vertragstext nun vorliegt, ist der politische Prozess längst nicht abgeschlossen. Die Annahme durch die WHO-Vollversammlung ist für Mai in Genf vorgesehen. Erst wenn mindestens 60 Mitgliedstaaten den Vertrag ratifiziert haben, kann er in Kraft treten – und dann auch nur für die Unterzeichnerländer.
Zusätzliche Annexes, etwa zum Thema „Pathogenenzugang und Nutzenverteilung“, müssen noch ausgearbeitet werden. Die nächsten Monate dürften deshalb im Zeichen intensiver diplomatischer Detailverhandlungen stehen.