Kabinett beschließt umfassende Reformagenda

Die Bundesregierung hat sich bei ihrer zweitägigen Klausurtagung in der Villa Borsig in Berlin auf eine weitreichende „Modernisierungsagenda“ verständigt. Im Mittelpunkt stehen Entbürokratisierung, Digitalisierung und eine spürbare Entlastung von Unternehmen und Bürgern. Insgesamt sollen rund 80 Maßnahmen umgesetzt werden, die Bürokratiekosten um bis zu 16 Milliarden Euro senken und den Staat effizienter, transparenter und bürgernäher machen sollen.

Bundeskanzler Friedrich Merz sprach bei der Vorstellung der Pläne von einem entscheidenden Schritt, um Deutschland wieder „an die Spitze“ zu bringen. Nach fünf Monaten im Amt wolle seine Regierung zeigen, dass es nicht bei Ankündigungen bleibe. Auch Finanzminister Lars Klingbeil unterstrich, dass die Agenda vor allem das Ziel habe, Bürgern und Unternehmen das Leben leichter zu machen – sei es beim Hausbau, bei der Unternehmensgründung oder im Kontakt mit Behörden.

Konkrete Entlastungen im Alltag

Besonders sichtbar werden die Neuerungen in der Verwaltung:

  • Kfz-Zulassung online: Statt hunderter regionaler Portale soll ein zentrales Online-Angebot geschaffen werden. Das entlastet Kommunen und beschleunigt die Abläufe erheblich.
  • Unternehmensgründung in 24 Stunden: Gründer sollen künftig ihr Geschäft über ein digitales Portal binnen eines Tages anmelden können. Die bisherigen rund 6000 Verfahrensvarianten sollen vereinheitlicht werden.
  • Bürokratiemeldeportal: Bürger und Unternehmen können künftig Verbesserungsvorschläge zu bestehenden Regelungen direkt einspeisen – ein Schritt in Richtung mehr Transparenz.
  • Schulungen und KI-Unterstützung: Beamte in Ministerien sollen verstärkt digitale Tools einsetzen, um praxistauglichere Gesetze zu entwickeln.

Darüber hinaus kündigte die Regierung an, die „One-in-one-out-Regel“ strenger anzuwenden: Neue bürokratische Belastungen sollen nur dann zulässig sein, wenn im Gegenzug an anderer Stelle Entlastungen geschaffen werden.

Die Maßnahmen sind nicht nur auf Vereinfachung, sondern auch auf Kostenreduzierung ausgelegt. Nach Berechnungen der Regierung könnten Bürokratiekosten um ein Viertel gesenkt werden. Gleichzeitig ist vorgesehen, den Personalbestand der Bundesverwaltung um acht Prozent zu reduzieren. Kritiker befürchten jedoch, dass sich dadurch Engpässe verschärfen könnten, wenn digitale Verfahren nicht zügig greifen.

Stimmen aus Politik und Wirtschaft

Während Mecklenburg-Vorpommerns Ministerpräsidentin Manuela Schwesig konkrete Ergebnisse einforderte, zeigte sich die Industrie skeptisch. Der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) mahnte an, die Pläne seien angesichts der angespannten wirtschaftlichen Lage zu wenig ambitioniert. Hauptgeschäftsführerin Tanja Görner forderte „einen Befreiungsschlag beim Bürokratieabbau“. Nur spürbare Entlastungen in der Praxis könnten die Wettbewerbsfähigkeit deutscher Unternehmen sichern.

Auch die Opposition meldete sich kritisch zu Wort. Grünen-Politikerin Franziska Brantner bezeichnete die Agenda als „mutlos“. Es sei unzureichend, sich auf einzelne digitale Projekte wie die Kfz-Zulassung zu konzentrieren. Deutschland brauche eine umfassendere Vision, etwa eine einheitliche „Deutschland-App“, die alle Verwaltungsleistungen bündelt.

Für Karsten Wildberger, den ersten deutschen Digitalminister, ist die Agenda zugleich ein persönliches Projekt. Der frühere Manager wurde von Merz eigens in die Regierung geholt, um das neue Ministerium für Digitales und Staatsmodernisierung aufzubauen. Er verteidigte die Pläne mit dem Hinweis, dass sich Deutschland in den vergangenen Jahrzehnten „verknotet“ habe. Nun gehe es darum, diese Verstrickungen Schritt für Schritt aufzulösen. Wildberger setzt dabei auch auf regelmäßige Praxis-Checks, um Fehlentwicklungen frühzeitig zu erkennen und zu korrigieren.

Zusätzliche Reformvorhaben

Parallel zur Modernisierungsagenda brachte das Kabinett weitere Projekte auf den Weg. So soll der Ausbau der Wasserstoff-Infrastruktur beschleunigt werden, wofür ein eigener Gesetzentwurf verabschiedet wurde. Zudem plant die Regierung eine Verschärfung des Strafrechts zur effektiveren Terrorismusbekämpfung – künftig sollen bereits die Vorbereitungen für Anschläge mit Fahrzeugen oder Messern strafbar sein.

Ein weiterer Schwerpunkt liegt auf der Forschung: Mit einem Aktionsplan zur Kernfusion will die Bundesregierung den Weg zu einem marktfähigen Reaktor in Deutschland ebnen. Dafür sind in dieser Legislaturperiode 1,7 Milliarden Euro vorgesehen.

Ob die angekündigten Maßnahmen tatsächlich Wirkung zeigen, hängt nicht nur von der Technik ab. Ralph Brinkhaus, Vorsitzender der CDU-Arbeitsgruppe für Digitales und Staatsmodernisierung, sieht vor allem die politische Führung in der Pflicht. Auch wenn die Agenda noch viele Fragen offenlässt, markiert sie einen Paradigmenwechsel: Der Staat will sich nicht länger als schwerfälliger Hemmschuh präsentieren, sondern als handlungsfähiger Partner von Bürgern und Wirtschaft. Entscheidend wird sein, ob die ambitionierten Ankündigungen im Alltag spürbar ankommen – oder ob sie im Dickicht der Bürokratie erneut ins Stocken geraten.

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