Hoher Krankenstand: Eine Belastung für die Wirtschaft
Die deutschen Unternehmen sehen sich mit steigenden Krankenständen konfrontiert, die die Produktion, den Handel und Dienstleistungen beeinträchtigen. Diese Entwicklung wirkt sich nicht nur auf die betrieblichen Abläufe aus, sondern verstärkt auch den bestehenden Fachkräftemangel. Der Fehlzeiten-Report 2024 des AOK-Bundesverbands zeigt, wie ernst die Lage ist.
Die Zahlen sprechen für sich: Bereits in den ersten acht Monaten des Jahres 2024 erreichten die Arbeitsunfähigkeitsfälle je 100 erwerbstätige AOK-Mitglieder das Niveau des gesamten Vorjahres. Durchschnittlich fehlten Mitarbeitende der Techniker Krankenkasse 2023 an 19,4 Tagen, und in den Produktionsstätten von Mercedes-Benz ist der Krankenstand in Deutschland doppelt so hoch wie in anderen Ländern mit ähnlichen Rahmenbedingungen.
Besonders betroffen ist der Bildungs- und Gesundheitssektor. Laut dem „Branchenbericht Kindertagesstätten 2024“ der AOK Rheinland/Hamburg waren mehr als 83 Prozent der Erzieherinnen und Erzieher im vergangenen Jahr mindestens einmal krankgeschrieben. Atemwegsinfekte und psychische Erkrankungen wie depressive Episoden oder Anpassungsstörungen sind hier die häufigsten Ursachen. Der Krankenstand in Hamburger Kitas erreichte mit durchschnittlich 8,6 Prozent ein nie gekanntes Niveau.
Ursachen des hohen Krankenstands
Eine eindeutige Ursache für den steigenden Krankenstand lässt sich laut der IHK-Regionalvorsitzenden Andrea Thoma-Böck nicht benennen. Allerdings machen einige Faktoren die Situation klar: Der Fachkräftemangel erschwert die Kompensation von Arbeitsausfällen, und die zunehmenden psychischen Belastungen am Arbeitsplatz tragen ebenfalls zur Problematik bei.
Auch die Möglichkeit der telefonischen Krankschreibung wird kritisch betrachtet. Diese Regelung, eingeführt während der Corona-Pandemie, erlaubt es Arbeitnehmern, sich für bis zu fünf Tage krankzumelden, ohne einen Arzt aufzusuchen. Während dies zunächst als Schutzmaßnahme für Praxispersonal und andere Patienten gedacht war, wird sie nun als eine der Ursachen für Missbrauch und Planungsunsicherheit gesehen.
Betriebliche Gesundheitsförderung als Lösung
Trotz der Kritik an der aktuellen Situation investieren viele Unternehmen in die Gesundheit ihrer Belegschaft. Laut einer Studie des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) bieten 80 Prozent der Unternehmen ergonomisch gestaltete Arbeitsplätze, und 60 Prozent großer Betriebe setzen auf Stressbewältigungstrainings. Allerdings hinken kleine Unternehmen in diesem Bereich hinterher: Nur ein Viertel der Betriebe mit weniger als 50 Mitarbeitenden bietet solche Schulungen an.
IW-Wissenschaftlerin Andrea Hammermann hebt hervor, dass ein gutes Gesundheitsmanagement alle Facetten des Arbeitsalltags berücksichtigen sollte. Es genüge nicht, Mitarbeitende in Sportkurse zu schicken; entscheidend sei, strukturelle Entlastungen zu schaffen, etwa durch klare Stellvertreterregelungen oder eine Priorisierung der Arbeitsaufgaben.
Belastungen im Bildungs- und Gesundheitssektor
Insbesondere gesellschaftsnahe Dienstleistungen, wie der Bildungs- und Gesundheitssektor, stehen vor besonderen Herausforderungen. In diesen Branchen sind Sportangebote und Stressbewältigungstrainings zwar verbreitet, doch organisatorische Entlastungen bleiben oft auf der Strecke.
Die Reduzierung des Krankenstands erfordert ein Umdenken in den Betrieben. Mercedes-Chef Ola Källenius kritisiert, dass es in Deutschland zu einfach sei, sich krankzumelden. Allerdings zeigt die IW-Studie, dass eine reine Verschärfung der Krankschreibungsregeln keine Lösung ist. Stattdessen müssen Unternehmen langfristige Strategien entwickeln, die Arbeitsbelastung reduzieren und Mitarbeitende nachhaltig entlasten.
Ein Beispiel dafür ist die Entwicklung eines ganzheitlichen Gesundheitsmanagements, das alle Dimensionen der Mitarbeitergesundheit umfasst: von der Arbeitsorganisation über ergonomische Maßnahmen bis hin zu psychologischer Unterstützung. Gerade in Zeiten des Fachkräftemangels ist dies entscheidend, um langfristig wettbewerbsfähig zu bleiben.
Der hohe Krankenstand stellt eine der größten Herausforderungen für die deutsche Wirtschaft dar. Während kurzfristige Maßnahmen wie die Einschränkung der telefonischen Krankschreibung diskutiert werden, liegt die eigentliche Lösung in einem umfassenden und nachhaltigen Gesundheitsmanagement. Unternehmen, die proaktiv auf die Gesundheit ihrer Mitarbeitenden achten, schaffen nicht nur bessere Arbeitsbedingungen, sondern sichern auch ihre Wettbewerbsfähigkeit in einem zunehmend schwierigen Marktumfeld.