Fünf Jahre nach dem Brexit: So geht es Großbritannien
Am 31. Januar 2020 trat Großbritannien offiziell aus der Europäischen Union aus. Der Brexit wurde als historischer Moment gefeiert, der dem Land mehr Souveränität und wirtschaftliche Stärke bringen sollte. Doch fünf Jahre später zeichnet sich ein differenziertes Bild ab: Viele der Versprechen blieben unerfüllt, während die wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Herausforderungen wuchsen.
Die wirtschaftlichen Auswirkungen des Brexits sind gravierend. Eine Studie der Aston University zeigt, dass der Handel mit der EU zwischen 2021 und 2023 stark eingebrochen ist. Die Exporte nach Europa gingen um 27 %, die Importe um 32 % zurück. Zahlreiche britische Produkte verschwanden gänzlich aus den Regalen europäischer Länder.
Unternehmen klagen über hohe Zoll- und Verwaltungsgebühren, die viele Exporte unrentabel machen. Kleine Firmen, die einst auf den EU-Markt angewiesen waren, haben entweder ihre Produktion ins Ausland verlagert oder ihre Geschäfte eingestellt. Laut dem Office for Budget Responsibility werden die britischen Exporte langfristig um 15 % niedriger ausfallen, als wenn das Land in der EU geblieben wäre. Auch Investitionen aus dem Ausland gingen drastisch zurück, da internationale Konzerne sich zunehmend auf Standorte innerhalb der EU konzentrieren. London, einst unangefochtenes Finanzzentrum Europas, verliert allmählich an Bedeutung, da Banken und Investmentfirmen ihre Aktivitäten in Städte wie Paris, Frankfurt und Amsterdam verlagern.
Der Brexit im Alltag: Steigende Preise und Bürokratie
Auch für Verbraucher hat sich das Leben verändert. Viele Waren sind teurer geworden, insbesondere importierte Lebensmittel und saisonale Produkte. So berichtete der „Guardian“, dass für Weihnachtsbäume aus den Niederlanden zusätzliche Bescheinigungen erforderlich sind, die Kosten verursachen, die letztlich die Kunden tragen müssen.
Ein weiteres Beispiel ist der Online-Handel: Britische Unternehmen, die einst problemlos in die EU lieferten, sehen sich nun mit aufwendigen Zollformularen und längeren Lieferzeiten konfrontiert. Die Bürokratie schreckt nicht nur Unternehmen, sondern auch Verbraucher ab, die sich vermehrt an europäische Anbieter wenden. Besonders spürbar ist dies im Tourismussektor: Während britische Reisende früher mit ihrem Personalausweis problemlos in die EU einreisen konnten, benötigen sie nun einen Reisepass und müssen sich teilweise langwierigen Grenzkontrollen unterziehen. Die Tourismusbranche in Großbritannien leidet zudem unter dem Rückgang europäischer Besucher, die sich zunehmend für Reiseziele innerhalb der EU entscheiden.
Migration: Unerwartete Entwicklungen
Ein zentraler Punkt der Brexit-Debatte war die Kontrolle über die Migration. Befürworter argumentierten, dass der Austritt aus der EU die Einwanderung senken würde. Tatsächlich ging die Migration aus der EU zurück, doch die Nettozuwanderung aus Nicht-EU-Staaten stieg auf Rekordhöhen. Viele Arbeitskräfte aus osteuropäischen Ländern blieben aus, während der Bedarf an Fachkräften in Pflege, Gastronomie und Landwirtschaft weiterhin hoch ist.
Neue Migrationsregelungen der Regierung führten zu verschärften Bedingungen, beispielsweise für Pflegekräfte oder Studierende, die nun nicht mehr ohne Weiteres ihre Familien mitbringen können. Dennoch bleibt die Debatte kontrovers, da die Wirtschaft weiterhin auf ausländische Arbeitskräfte angewiesen ist. Gleichzeitig klagen britische Unternehmen über einen Mangel an qualifizierten Fachkräften, da viele hochqualifizierte EU-Bürger Großbritannien verlassen haben und sich stattdessen für andere europäische Länder als Arbeitsort entscheiden.
Politische Neuausrichtung und internationale Beziehungen
Premierminister Keir Starmer hat in seiner Amtszeit vorsichtige Annäherungen an die EU eingeleitet. Er spricht von der Notwendigkeit engerer Beziehungen zu den „europäischen Freunden“, bleibt aber beim Grundsatz, dass Großbritannien außerhalb der EU bleibt. Kritiker bemängeln, dass seine Annäherung zu verhalten sei, insbesondere da Großbritannien weiterhin unter den wirtschaftlichen Folgen des Brexits leidet. Gleichzeitig gibt es innerhalb der britischen Politik zunehmend Stimmen, die eine erneute Annäherung oder sogar einen Wiedereintritt in die EU in Erwägung ziehen.
Gleichzeitig strebt das Land eine verstärkte militärische Zusammenarbeit mit der NATO und insbesondere Deutschland an. Nach Zwischenfällen mit russischen Schiffen in der Ostsee und dem Ärmelkanal sieht sich Großbritannien als Schlüsselakteur in der europäischen Sicherheitsarchitektur. Auch das Verhältnis zu den USA hat sich nach dem Brexit verändert: Während das Vereinigte Königreich auf ein umfassendes Handelsabkommen mit den USA gehofft hatte, bleiben viele dieser Verhandlungen weiterhin stockend. Die wirtschaftlichen Abhängigkeiten von den USA und China haben zugenommen, was die strategische Position Großbritanniens weiter erschwert.
Stimmungsbild in der Bevölkerung
Die britische Öffentlichkeit hat ihre Meinung zum Brexit inzwischen weitgehend revidiert. Eine aktuelle Umfrage des Meinungsforschungsinstituts YouGov zeigt, dass 55 % der Briten den Austritt aus der EU für einen Fehler halten. Der Begriff „Bregret“ (eine Wortkombination aus „Brexit“ und „regret“) hat sich etabliert. Insbesondere jüngere Generationen, die die Vorteile der EU-Mitgliedschaft bewusst erlebt haben, stehen dem Brexit skeptisch gegenüber.
Auch innerhalb der konservativen Partei wächst die Kritik. Während einige Politiker weiterhin den Brexit als Erfolg verkaufen wollen, mehren sich Stimmen, die eine wirtschaftliche Neuausrichtung fordern. Besonders Unternehmen und junge Wähler zeigen sich zunehmend enttäuscht über die Auswirkungen des Brexits und wünschen sich eine engere Zusammenarbeit mit der EU.
Fünf Jahre nach dem Brexit zeigt sich, dass die wirtschaftlichen Verluste, die gestiegene Bürokratie und die sozialen Spannungen in Großbritannien tiefe Spuren hinterlassen. Der Brexit hat Großbritannien in eine neue Ära geführt – eine, die sich schwieriger gestaltet als erhofft. Die Frage, ob das Vereinigte Königreich langfristig von seiner neuen Unabhängigkeit profitieren kann oder sich eines Tages wieder der EU annähern wird, bleibt offen.