EU-Debatte um pflanzliche Produktnamen: Darf die Veggie-Wurst noch Wurst heißen?

In Europas Supermärkten sind pflanzliche Alternativen längst fester Bestandteil des Sortiments. Vegane Burger, Würstchen oder Steaks füllen ganze Kühlregale – und erfreuen sich wachsender Beliebtheit. Doch nun droht diesen Produkten eine sprachliche Beschneidung: Das Europäische Parlament stimmt darüber ab, ob Bezeichnungen wie „Wurst“, „Steak“ oder „Burger“ künftig ausschließlich Fleischprodukten vorbehalten bleiben sollen. Was für manche ein Akt des Verbraucherschutzes ist, empfinden andere als rückwärtsgewandten Populismus.

Angeführt wird die Initiative von der französischen Europaabgeordneten Céline Imart aus der Europäischen Volkspartei (EVP). Sie fordert, dass nur Produkte tierischen Ursprungs die traditionellen Fleischbezeichnungen tragen dürfen. Ihre Argumentation: Ein Steak sei Fleisch – Punkt. Worte hätten Bedeutung, und Verbraucher dürften nicht durch die Bezeichnung pflanzlicher Ersatzprodukte in die Irre geführt werden. Imart sieht darin auch einen Schutzmechanismus für Landwirte, deren Arbeit und Produkte ihrer Ansicht nach zunehmend durch pflanzliche Alternativen verdrängt werden. Unterstützung erhält sie vom europäischen Bauernverband, der eine klare und „ehrliche“ Etikettierung fordert.

Der Vorschlag fand im Agrarausschuss des EU-Parlaments bereits eine Mehrheit. Ende Oktober soll das Plenum über die Regelung abstimmen. Sollte die Initiative durchkommen, müssten sich Hersteller pflanzlicher Produkte europaweit auf neue Bezeichnungen und kostspielige Umstellungen ihrer Marketing- und Verpackungslinien einstellen.

Industrie zwischen Anpassungsdruck und Gegenwehr

Für viele Produzenten pflanzlicher Lebensmittel steht viel auf dem Spiel. Unternehmen wie Rügenwalder Mühle, die inzwischen mehr Umsatz mit veganen Alternativen als mit klassischem Fleisch erzielen, warnen vor den wirtschaftlichen Folgen eines solchen Verbots. Neue Namen, neue Etiketten, veränderte Werbelinien – all das würde Millionen kosten.

Doch auch innerhalb der traditionellen Fleischbranche herrscht keine Einigkeit. Während einige Vertreter wie Wiesbauer-Eigentümer Thomas Schmiedbauer die Abgrenzung als „überfällig“ betrachten, halten andere sie für übertrieben. Schmiedbauer argumentiert, dass pflanzliche Produkte oft mit Zusätzen und Bindemitteln hergestellt werden, die in der Fleischproduktion längst verboten seien, und fordert eine klare Trennung. Gleichzeitig befürchtet die Branche einen Imageverlust: Der Fleischerberuf werde zunehmend als veraltet oder gar grausam wahrgenommen, während vegane Alternativen ein modernes, nachhaltiges Image pflegten.

Streit um Verbraucherschutz und Klarheit

Während konservative Kräfte von Verbrauchertäuschung sprechen, sehen Konsumentenschützer und Umweltverbände keine Notwendigkeit für neue Regeln. Weder in Österreich noch in Deutschland oder Frankreich gibt es bekannte Fälle, in denen Kunden versehentlich zu veganen statt zu fleischlichen Produkten gegriffen hätten. „Dieses Problem existiert schlicht nicht“, sagt Felix Hnat, Obmann der Veganen Gesellschaft. Auf jeder Verpackung sei die Hauptzutat klar angegeben – von Irreführung könne keine Rede sein.

Ähnlich argumentiert auch der österreichische Agrarökonom Franz Sinabell vom Wirtschaftsforschungsinstitut (Wifo). Er betont den Wert von Transparenz, hält aber zusätzliche Regulierungen für überflüssig. Auch die Chefin des Verbands der Lebensmittelindustrie, Katharina Koßdorff, verweist darauf, dass bestehende Vorschriften bereits ausreichen, um Verbraucher zu schützen.

Besonders deutlich wird die ideologische Spaltung zwischen Konservativen und Grünen. Thomas Waitz, grüner Europaabgeordneter und selbst Landwirt, bezeichnet den Vorschlag der EVP als „billigen Populismus“. Niemand verwechsle ein Seitan- mit einem Kalbsschnitzel, so Waitz. Die vermeintliche Schutzabsicht für Bauern diene in Wahrheit der politischen Profilierung.

Auch andere Parteien sehen das geplante Verbot skeptisch. Die liberale Fraktion warnt vor unnötigen Sprachverboten, die sozialliberale SPÖ spricht von einer „Themenverfehlung“. Viele Beobachter sehen in der Debatte weniger eine Frage der Verbrauchertäuschung, sondern eine symbolische Auseinandersetzung über die kulturelle Deutungshoheit im Ernährungssektor.

Zwischen Tradition und Wandel

Bereits seit Jahren ist die Frage der Produktbezeichnung ein Dauerbrenner in der EU. Für Milch und Käse existieren seit 2013 strenge Regeln: Nur Produkte, die tatsächlich aus dem Euter stammen, dürfen sich Milch oder Käse nennen. Ersatzprodukte aus Soja oder Hafer werden dagegen als „Drinks“ vermarktet. Kokosmilch oder Erdnussbutter genießen allerdings aus historischen Gründen eine Sonderstellung – was zeigt, dass Sprachgewohnheiten sich langfristig kaum vollständig normieren lassen.

Mit dem geplanten Gesetz wollen EVP und EU-Kommission nun eine ähnliche Klarheit für Fleischprodukte schaffen. Die Kommission plant ohnehin eine Verschärfung des Bezeichnungsrechts für pflanzliche Erzeugnisse, um – so die offizielle Begründung – die „europäische Tierhaltung zu stärken“. Agrarkommissar Christophe Hansen sprach bereits im Februar von der Notwendigkeit, „echte Lebensmittel“ zu schützen und traditionelle Begriffe zu bewahren.

Kritiker sehen darin ein Paradoxon: Ein Verbot von Fleischbezeichnungen für pflanzliche Produkte könnte gerade jenen Landwirten schaden, die Hülsenfrüchte wie Erbsen oder Soja anbauen – also den Rohstofflieferanten der boomenden Veggie-Branche. Die Europäische Vegetarier-Union (EVU) warnt, dass Landwirte, die in die nachhaltige Produktion pflanzlicher Proteine investieren, durch solche Maßnahmen benachteiligt werden. Zudem drohe Verwirrung bei den Verbrauchern, die sich plötzlich mit Fantasiebegriffen wie „Grillrolle“ oder „Bratscheibe“ auseinandersetzen müssten.

Der Europäische Gerichtshof hatte bereits 2025 in einem Verfahren gegen die französische Regierung entschieden, dass die geltenden Vorschriften ausreichend sind, um Verbraucher vor Irreführung zu schützen. Ein erneutes Eingreifen auf EU-Ebene sei daher überflüssig.

Ein Kampf um Worte – und um Einfluss

Was auf den ersten Blick wie eine Randdebatte wirkt, ist in Wahrheit Ausdruck eines tieferliegenden Strukturwandels. Die Fleischwirtschaft steht unter wachsendem wirtschaftlichen Druck, während pflanzliche Alternativen ihren Marktanteil stetig ausbauen. Hersteller wie Rügenwalder Mühle oder Beyond Meat prägen längst die Wahrnehmung moderner Ernährung. Ein Namensverbot könnte diesen Trend verlangsamen – aber wohl kaum aufhalten.

So dürfte das geplante Gesetz, sollte es tatsächlich beschlossen werden, weniger über Etiketten als über Europas Zukunft in der Ernährungspolitik entscheiden. Es ist eine Auseinandersetzung darüber, wie viel Tradition die moderne Gesellschaft bewahren und wie viel Wandel sie zulassen will. Ob ein Steak künftig nur noch aus Fleisch bestehen darf, ist letztlich mehr als eine sprachliche Frage. Es geht um Identität, Märkte – und um die Deutung dessen, was auf unseren Tellern liegt.

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