Erhöhung oder nicht? Union und SPD streiten um Mindestlohn

Kaum ist der Koalitionsvertrag zwischen CDU/CSU und SPD vorgestellt, entzündet sich ein hitziger Streit um eines der zentralen sozialpolitischen Vorhaben: die Anhebung des Mindestlohns auf 15 Euro pro Stunde. Für die SPD ein zentrales Wahlversprechen und ein Aushängeschild sozialer Gerechtigkeit – für die Union ein zu weitreichender Eingriff in die Tarifautonomie. Dabei war der gesetzliche Mindestlohn einst ein gemeinsames Projekt beider Parteien, eingeführt im Jahr 2015 mit einem Einstiegswert von 8,50 Euro. Heute liegt die Untergrenze bei 12,82 Euro (Stand: Januar 2025), doch die politische Einigkeit darüber scheint Vergangenheit.

Zentral für die Anpassung der gesetzlichen Lohnuntergrenze ist die sogenannte Mindestlohnkommission – ein Gremium aus neun Mitgliedern, bestehend aus Vertretern der Arbeitgeber- und Arbeitnehmerseite, einer Vorsitzenden sowie zwei beratenden Wissenschaftlern. Ihre Aufgabe ist es, alle zwei Jahre eine Empfehlung für die Höhe des Mindestlohns abzugeben. Grundlage ihrer Entscheidung bildet vor allem die Tarifentwicklung, ergänzt seit 2025 durch eine Orientierung an 60 Prozent des mittleren Bruttolohns von Vollzeitbeschäftigten – ein Maßstab, der der europäischen Mindestlohnrichtlinie entspricht und auf eine armutsfeste Lohnuntergrenze zielt.

Im Koalitionsvertrag der neuen Bundesregierung ist diese doppelte Orientierung festgeschrieben. Wörtlich heißt es, auf diesem Weg sei ein Mindestlohn von 15 Euro im Jahr 2026 erreichbar. Ein Automatismus ist damit jedoch nicht verbunden. CDU-Chef Friedrich Merz stellte jüngst klar: Es werde keine gesetzliche Festlegung geben. Der Mindestlohn solle weiterhin von der Kommission in eigener Verantwortung beschlossen werden. Für die SPD hingegen ist die Erhöhung beschlossene Sache – Parteivorstand und Spitzenpolitiker bewerben sie als greifbaren Erfolg. Die Diskrepanz zwischen diesen Positionen offenbart sich nun als eine der größten Konfliktlinien der Koalition.

Die Kritik der Wirtschaft – Sorge um Wettbewerbsfähigkeit

Gegenwind kommt nicht nur aus der Union, sondern auch aus der Wirtschaft. Mehrere Verbände, darunter der Handelsverband Deutschland, warnen in einer gemeinsamen Erklärung vor weiteren politischen Eingriffen in die Entscheidungsfindung der Mindestlohnkommission. Die massive Anhebung im Jahr 2022 – damals per Gesetz auf 12 Euro – habe bereits gravierende Folgen hinterlassen: steigende Arbeitslosigkeit, Insolvenzen vor allem im Mittelstand und wachsende Lohnnebenkosten. Eine Wiederholung solcher Schritte, so der Tenor, gefährde die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft und untergrabe das Vertrauen in institutionelle Verfahren.

SPD-Chef Lars Klingbeil äußert sich derweil zuversichtlich: Hält sich die Kommission an ihre neue Geschäftsordnung, sei das Ziel von 15 Euro Mindestlohn bis 2026 realistisch erreichbar. Auch Generalsekretär Matthias Miersch betont, dass die Sozialdemokraten an ihrem Wahlversprechen festhalten. Auf der anderen Seite betont CSU-Arbeitsmarktexperte Stephan Stracke die Unabhängigkeit des Gremiums und warnt davor, durch politische Vorgaben die Tarifautonomie zu untergraben. Wer das Ergebnis der Kommission vorwegnehme, missachte deren Auftrag und gefährde Arbeitsplätze.

Der Blick auf Europa: Deutschland im oberen Mittelfeld

Im Vergleich mit anderen europäischen Staaten liegt Deutschland mit 12,82 Euro pro Stunde auf Platz vier der nominalen Mindestlöhne – hinter Luxemburg, den Niederlanden und Irland. Kaufkraftbereinigt jedoch, also unter Einbeziehung der Lebenshaltungskosten, führt Deutschland mit 9,94 Euro das Ranking an. Das unterstreicht: Ein höherer Mindestlohn ist nicht automatisch gleichbedeutend mit mehr Wohlstand, sondern hängt stark vom nationalen Kontext ab.

Rund 16 Prozent der Beschäftigten in Deutschland arbeiten im Niedriglohnbereich – mit einem Stundenlohn unter 13,79 Euro. Dieser Anteil ist seit Einführung des Mindestlohns rückläufig, aber noch immer beachtlich. Besonders betroffen sind Menschen in prekären Beschäftigungsverhältnissen, Alleinerziehende, Pflegekräfte und Beschäftigte im Einzelhandel oder in der Gastronomie. Die Forderung nach einer spürbaren Erhöhung der Lohnuntergrenze ist für viele kein ideologisches Ziel, sondern existenziell.

Gewerkschaften und Opposition erhöhen den Druck

Neben der SPD fordern auch die Grünen und die Linke eine konsequentere Linie. Andreas Audretsch, Bundestagsabgeordneter der Grünen, kritisiert die Union scharf: Friedrich Merz blockiere zentrale soziale Reformen und wolle „die Mitte ärmer und die Reichsten reicher“ machen. Die Linken bemängeln schwammige Formulierungen im Koalitionsvertrag und kritisieren die SPD, zu wenig für Arbeitnehmerrechte getan zu haben. Das geplante Klimageld, ursprünglich als Ausgleich für gestiegene Lebenshaltungskosten vorgesehen, wurde gestrichen. Gleichzeitig steigen die Lohnnebenkosten weiter. Eine Gemengelage, die politisch hochexplosiv ist.

Ob der Mindestlohn tatsächlich wie von der SPD gewünscht auf 15 Euro steigt, hängt letztlich von der Entscheidung der Kommission ab, die bis Ende Juni 2025 eine Empfehlung für die ab 2026 geltende Höhe abgeben muss. Schon jetzt ist absehbar: Die politische Debatte wird weiter an Schärfe zunehmen, je näher dieser Termin rückt. Denn während für die einen der Mindestlohn ein Hebel zur Bekämpfung von Armut und zur Stabilisierung der sozialen Sicherungssysteme ist, sehen andere darin ein Risiko für die wirtschaftliche Stabilität.

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