Deutschlands Brücken brechen ein – und mit ihnen die Infrastruktur
In der deutschen Hauptstadt hat sich ein Verkehrschaos entfaltet, das längst nicht mehr als Einzelfall gelten kann. Die Sperrung einer zentralen Brücke der Berliner Stadtautobahn A100 hat den Puls der Metropole jäh unterbrochen. Die sogenannte Ringbahnbrücke, ein Bauwerk aus den 1960er-Jahren, wurde für Jahrzehnte wachsenden Verkehrsmengen ausgesetzt – inzwischen sind täglich rund 250.000 Fahrzeuge dort unterwegs. Jetzt droht der komplette Kollaps.
Doch was Berlin derzeit durchlebt, ist nur das sichtbarste Symptom einer landesweiten Krankheit. Tausende Brücken in ganz Deutschland sind in einem erbarmungswürdigen Zustand – und drohen ebenfalls zu versagen.
Obwohl der Bund ein kreditfinanziertes Sondervermögen in Höhe von 500 Milliarden Euro für die Sanierung maroder Infrastruktur bereitgestellt hat, geht es kaum voran. Mehr als 4.000 Brücken im Bundesbesitz sind dringend sanierungsbedürftig. Doch die Aufteilung der Mittel zwischen den Bundesländern, unklare Zuständigkeiten und lähmende Bürokratie sorgen für Verwirrung und Verzögerung.
Stellschrauben ohne Wirkung
Die Bundesregierung will die Probleme mit neuen Gesetzen zur Planungsbeschleunigung angehen. Weniger Auflagen, mehr Digitalisierung, flexiblere Vergaberechte – all das klingt gut, doch die Umsetzung bleibt schleppend. Laut Tim-Oliver Müller vom Hauptverband der Deutschen Bauindustrie scheitert es nicht am Geld, sondern an strukturellen Mängeln: Die Bauindustrie ist ausgelastet, Prozesse sind zu träge, und die langfristige Planungssicherheit fehlt.
Ein internationaler Vergleich macht deutlich, wie dramatisch der Rückstand ist. In Italien wurde nach dem Einsturz der Morandi-Brücke in Genua innerhalb von nur zwei Jahren ein vollständig neues Bauwerk errichtet – ein technisches und organisatorisches Meisterstück. In Deutschland hingegen dauern vergleichbare Projekte oft ein Jahrzehnt – wenn nicht länger.
Die Gründe für den Sanierungsstau sind hausgemacht. Jahrzehntelange Sparpolitik im Verkehrsbereich, die Priorisierung anderer Ausgabenbereiche und eine politische Kultur des Aufschiebens haben den Verfall der Infrastruktur geradezu provoziert. Die Verantwortung liegt dabei quer durch alle Parteien. Ob CDU, SPD, Grüne oder FDP – alle haben ihren Anteil an der Misere. Die politische Farbenlehre spielt in diesem Drama keine Rolle mehr.
Sanierungsfall Deutschland
Das Beispiel der Carolabrücke in Dresden verdeutlicht, wie Planungsversagen und politisches Taktieren ein Bauwerk über Jahre hinweg zur tickenden Zeitbombe machen. Die mehr als 50 Jahre alte Elbebrücke hätte längst geprüft und saniert werden müssen. Doch Anträge auf Tests wurden abgelehnt. Im September 2024 kam es schließlich zum Zusammenbruch.
Auch in Leipzig dauert die Sanierung der Zeppelinbrücke beinahe drei Jahre. In Ludwigshafen ruht der Verkehr über die Hochstraße Süd seit 2019. Ein Ende ist frühestens für 2026 in Sicht. Derweil stehen auch die Leverkusener Rheinbrücke und die Bonner Nordbrücke vor Einschränkungen oder Sperrungen.
Zurück nach Berlin: Die A100 ist nicht nur eine der am meisten befahrenen Autobahnen Deutschlands, sondern auch ein neuralgischer Punkt für den Pendlerverkehr. Ihre Sperrung führt zu Staus, Ausweichverkehr und Unterbrechungen im öffentlichen Nahverkehr. Selbst die S-Bahn-Ringbahn ist betroffen – der gesamte städtische Verkehr leidet. Noch schlimmer: Es ist unklar, ob das marode Bauwerk gestützt oder direkt abgerissen werden soll. Nur eines scheint sicher: Die vollständige Sanierung wird Jahre dauern – mindestens bis 2028. Kostenpunkt: voraussichtlich 150 Millionen Euro.
Chronisch überlastet: Das System Deutschland
Ein Grundproblem ist die extreme Belastung alter Brücken. Bei ihrer Errichtung waren viele von ihnen für deutlich geringere Verkehrsaufkommen ausgelegt. Die Ringbahnbrücke sollte einst 25.000 Fahrzeuge täglich tragen – heute sind es zehnmal so viele.
Ähnlich dramatisch ist die Lage an der Rahmede-Talbrücke der A45 bei Lüdenscheid. Seit 2021 ist sie gesperrt. Die Folge: Dauerstau, Umwege, Abgasbelastung und wirtschaftlicher Schaden für die gesamte Region. Erst 2026 soll der Verkehr dort wieder fließen.
Selbst wirtschaftlich ist der Abschwung sichtbar: Die Zahl der Beschäftigten in der Industrie ist im letzten Jahr um 120.000 gesunken. Der industrielle Rückgang trifft auf eine marode Infrastruktur – eine explosive Mischung für den Wirtschaftsstandort Deutschland.