Der dramatische Rückgang der Geburtenrate in Deutschland: Ursachen und Herausforderungen
In den vergangenen Jahren hat sich die Geburtenrate in Deutschland erheblich verändert, insbesondere in den ostdeutschen Bundesländern. Verschiedene Faktoren tragen zu einem deutlichen Rückgang bei, der nicht nur durch die schrumpfende Zahl der Frauen im gebärfähigen Alter, sondern auch durch aktuelle Krisen wie den Ukraine-Krieg verstärkt wird. Die Konsequenzen dieses Geburtenrückgangs werfen nicht nur demografische Fragen auf, sondern erfordern auch eine intensive politische Auseinandersetzung, um mögliche Fehlentscheidungen im Bereich der Familienpolitik zu vermeiden.
Sinkende Geburtenzahlen in Ostdeutschland
Besonders deutlich zeigt sich der Geburtenrückgang in den östlichen Bundesländern Deutschlands. Laut dem Ifo-Institut in Dresden ist die Anzahl der Geburten in den mitteldeutschen Flächenländern seit 2016 um ein Viertel gesunken. Während in diesem Jahr noch fast 110.000 Kinder zur Welt kamen, lag die Zahl 2023 unter 80.000. In Regionen wie Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen fiel der Rückgang besonders drastisch aus, vor allem bei Frauen über 30 Jahren. Der Wirtschaftsforscher Joachim Ragnitz, stellvertretender Geschäftsführer des Ifo-Instituts in Dresden, sieht einen Teil der Erklärung in der demografischen Entwicklung. Die Zahl der Frauen im gebärfähigen Alter hat in den letzten Jahren deutlich abgenommen, was zwangsläufig zu einem Rückgang der Geburten führen musste.
Doch Ragnitz betont, dass dieser Faktor allein die drastischen Zahlen nicht vollständig erklären könne. Denn während die Geburtenrate bei jüngeren Frauen prozentual anstieg, nahm sie bei Frauen über 30 signifikant ab. Eine mögliche Erklärung könnte laut Ragnitz der Geburtenabstand zwischen dem ersten und dem zweiten Kind sein, der in Deutschland durchschnittlich bei 3,1 Jahren liegt. Diese längeren Abstände könnten den Geburtenrückgang weiter verstärken.
Krisen verstärken den Rückgang
Neben der demografischen Entwicklung sieht Ragnitz die Krisen der letzten Jahre als wichtigen Grund für den Geburtenrückgang. Die Corona-Pandemie, der Ausbruch des Ukraine-Kriegs und die darauf folgende hohe Inflation hätten viele junge Familien dazu veranlasst, ihre Familienplanung auf Eis zu legen. Besonders die wirtschaftlichen Folgen dieser Krisen hätten zu einem Rückgang der Realeinkommen geführt, was Paare dazu bewogen habe, ihre Kinderwünsche vorerst zu verschieben. Diese Unsicherheiten betreffen nicht nur Deutschland, sondern viele europäische Länder, die ebenfalls einen ähnlichen Rückgang der Geburten verzeichnen.
Dieser Zusammenhang wird durch die statistischen Daten untermauert: Während die Geburtenrate 2021 noch bei 1,58 Kindern pro Frau lag, ist sie 2023 auf 1,35 gesunken. Besonders gravierend ist der Rückgang in den ostdeutschen Ländern, wo die Geburtenrate um 17,5 Prozent fiel, verglichen mit einem Rückgang von 13 Prozent im gesamten Bundesgebiet.
Ostdeutschlands demografische Entwicklung und die Folgen der Wiedervereinigung
Ein weiterer Faktor, der den Rückgang in Ostdeutschland erklärt, ist die spezifische demografische Entwicklung in dieser Region seit der Wiedervereinigung. Der Einbruch der Geburtenrate in den 90er-Jahren war in Ostdeutschland besonders stark und lag bei fast 50 Prozent. Dies führte zu einem langfristigen Rückgang der gebärfähigen Frauen in der Region, der sich in den letzten Jahren deutlich bemerkbar macht. Zudem sorgte die Abwanderung junger Frauen in den Westen dafür, dass die Zahl potenzieller Mütter weiter schrumpfte. Selbst bei einer stabilen Geburtenrate wäre also ein Rückgang der Geburten in Ostdeutschland zu erwarten gewesen. Zuletzt ist die Zahl der Frauen im gebärfähigen Alter zwar wieder leicht gestiegen, was vor allem auf die Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine zurückzuführen ist, dennoch bleibt die demografische Herausforderung bestehen.
In Brandenburg führte dieser Geburtenrückgang im Jahr 2023 sogar zum höchsten Sterbeüberschuss seit der Wiedervereinigung. Fast 21.000 mehr Menschen starben, als Kinder geboren wurden. Die Zahl der Neugeborenen sank in Brandenburg auf den niedrigsten Stand seit 28 Jahren, obwohl die Anzahl der Frauen im gebärfähigen Alter leicht zugenommen hatte. Dieser Rückgang von fast 9 Prozent im Vergleich zum Vorjahr verdeutlicht die gravierenden Auswirkungen der demografischen Veränderungen in Ostdeutschland.
Politische Implikationen und Herausforderungen
Ob sich die Geburtenrate in den kommenden Jahren wieder erholen wird oder ob der Rückgang von Dauer ist, lässt sich derzeit nicht mit Sicherheit sagen. Laut Ragnitz ist es jedoch entscheidend, dass die Politik diese Entwicklung genau beobachtet, um mögliche Fehlentscheidungen zu vermeiden, insbesondere im Hinblick auf den Ausbau von Kindertagesstätten und Schulversorgung. Denn falls sich der Rückgang als langfristiger Trend erweisen sollte, könnte es zu einem Überangebot an Betreuungsplätzen und Schulen kommen, was erhebliche finanzielle Belastungen für die Kommunen mit sich bringen würde.
In Brandenburg fordert der Landeskita-Elternrat eine kinderfreundlichere Politik, die Familien entlastet. Konkret wird eine Beitragsfreiheit in der Kinderbetreuung gefordert, um das Armutsrisiko zu senken und die Bildungschancen zu verbessern. Die Elternvertreter betonen, dass Familien ihr Geld überwiegend in der Region ausgeben, in der sie leben, und so das Einkommen für lokale Dienstleister und Arbeitsplätze sichern. Die Unterstützung von Familien sei daher nicht nur eine soziale, sondern auch eine wirtschaftliche Notwendigkeit.
Internationale Vergleiche: Der Blick nach Italien
Auch in anderen Ländern Europas zeigt sich ein ähnliches Bild. In Italien bewegt sich die Geburtenrate auf einen historischen Tiefststand zu. Im Jahr 2023 kamen nur noch 379.890 Kinder zur Welt, was einem Rückgang von 3,4 Prozent im Vergleich zum Vorjahr entspricht. Mit einer Geburtenrate von nur 1,20 Kindern pro Frau ist Italien eines der Länder mit den niedrigsten Geburtenraten in Europa. Dieses Problem besteht in Italien bereits seit Jahrzehnten und stellt das Land vor große demografische Herausforderungen.
Demografischer Wandel und politische Verantwortung
Der Geburtenrückgang in Deutschland ist eine Folge verschiedener Faktoren, die sowohl wirtschaftliche als auch gesellschaftliche Ursachen haben. Besonders die Krisen der letzten Jahre haben die Unsicherheit bei jungen Paaren verstärkt und dazu geführt, dass viele ihre Familienplanung auf Eis gelegt haben. Während in Ostdeutschland historische und demografische Gegebenheiten den Rückgang zusätzlich beschleunigen, betrifft das Problem die gesamte Bundesrepublik.