Bürokratieentlastungsgesetz IV: Ein Schritt nach vorn oder riskanter Rückschritt?
Die deutsche Wirtschaft ist seit Langem von einem überbordenden Bürokratieaufwand geplagt. Mit dem Bürokratieentlastungsgesetz IV (BEG IV) plant die Bundesregierung, Abhilfe zu schaffen und sowohl Unternehmen als auch Bürger von überflüssigen bürokratischen Lasten zu befreien. Diese Anpassungen sind auf das Feedback von Verbänden und dem Bundesrat zurückzuführen und erweitern das Gesetz von 62 auf 74 Artikel. Doch während die Koalitionsfraktionen die positiven Effekte der Bürokratieentlastung betonen, regt sich auch Widerstand, insbesondere in Bezug auf die geplante Verkürzung der Aufbewahrungsfristen von Buchungsbelegen. Kritiker warnen, dass dadurch Strafverfolgung im Bereich der Steuerhinterziehung gefährdet werden könnte.
Digitalisierung und Entlastung der Unternehmen
Ein zentraler Bestandteil des BEG IV ist die Digitalisierung der Verwaltungsvorgänge. Künftig sollen Steuerbescheide und andere Steuerverwaltungsakte digital bereitgestellt werden. Bisher war eine ausdrückliche Einwilligung der Empfänger erforderlich, doch mit der neuen Regelung soll eine Widerspruchslösung genügen. Dies bedeutet, dass die Bescheide automatisch digital abrufbar sind, es sei denn, der Steuerpflichtige widerspricht.
Auch im Aktienrecht werden Unternehmen entlastet: Vergütungsbezogene Beschlüsse auf Hauptversammlungen müssen nicht mehr in aufwendigen Bekanntmachungen veröffentlicht werden, es reicht eine einfache Veröffentlichung auf der Unternehmenswebsite. Für kleine und mittelständische Unternehmen (KMU) bedeuten diese Maßnahmen eine immense Erleichterung, denn weniger Papierkram und Meldepflichten sparen Zeit und Kosten. Jens Teutrine, FDP-Bundestagsabgeordneter, begrüßt die Neuregelungen und sieht darin einen wichtigen Schritt für Innovation und Wachstum in der deutschen Wirtschaft. Er unterstreicht, dass Bürokratie insbesondere für kleinere Betriebe die größte Hürde darstellt, und die Digitalisierung diese Hemmnisse abbauen werde.
Kritik an den verkürzten Aufbewahrungsfristen
Trotz der positiven Aspekte des BEG IV stößt eine zentrale Maßnahme auf heftigen Widerstand: die Verkürzung der Aufbewahrungsfristen für Buchungsbelege von zehn auf acht Jahre. Die Regierung argumentiert, dass Unternehmen durch diese Änderung 626 Millionen Euro pro Jahr einsparen könnten, da weniger Archivierungsraum benötigt wird. NRW-Finanzminister Marcus Optendrenk (CDU) sieht jedoch ein erhebliches Risiko. Er warnt davor, dass Steuerstraftaten in der Regel erst nach zehn Jahren verjähren, was bedeutet, dass wichtige Unterlagen zur Aufklärung solcher Vergehen möglicherweise vorzeitig vernichtet werden könnten. Optendrenk bezeichnet die geplante Änderung als schweren Fehler und kritisiert die Bundesregierung dafür, indirekt den Kampf gegen Steuerhinterziehung zu erschweren.
Auch aus den Reihen der Steuergewerkschaften kommt heftige Kritik. Florian Köbler, Vorsitzender der Deutschen Steuer-Gewerkschaft, nennt das Gesetz ein „Geschenk an Kriminelle“. Er fürchtet, dass Ermittler ohne die entsprechenden Unterlagen keine Anklagen erheben und keine Steuerrückforderungen durchsetzen können. Die Aufbewahrungsfristen seien nicht ohne Grund auf zehn Jahre festgelegt worden, da komplexe Steuervergehen wie Cum-Ex oft erst spät aufgedeckt werden. Anne Brorhilker, ehemalige Oberstaatsanwältin und heutige Mitgeschäftsführerin der Bürgerbewegung Finanzwende, teilt diese Bedenken. Sie sieht in der Verkürzung der Fristen ein bewusstes Schlupfloch für Steuerhinterzieher. „Die Bundesregierung erleichtert es, Steuern zu hinterziehen“, lautet ihre scharfe Kritik. Sie fordert, dass die Fristen bei mindestens zehn Jahren bleiben müssen, um den Ermittlern ausreichend Zeit zur Aufklärung zu geben.
Der Balanceakt zwischen Entlastung und Risiko
Die Bundesregierung steht also vor einem Balanceakt: Auf der einen Seite möchte sie die Wirtschaft entlasten und den bürokratischen Aufwand reduzieren, auf der anderen Seite laufen sie Gefahr, die Mittel zur Verfolgung von Steuerstraftaten einzuschränken. Michael Schrodi, finanzpolitischer Sprecher der SPD, warnt ebenfalls vor den Folgen der Fristverkürzung. Er betont, dass die Aufbewahrungspflicht einen wichtigen Zweck erfülle – nämlich vor Steuerbetrug zu schützen. Ohne die vollständige Dokumentation wären viele Vergehen, die erst Jahre später aufgedeckt werden, kaum mehr zu verfolgen.
Die politischen Reaktionen auf das BEG IV sind daher gemischt. Während die Ampel-Koalition das Gesetz als notwendigen Schritt zur Entlastung der Wirtschaft verteidigt, sehen Oppositionsparteien wie die CDU und AfD in dem Gesetz nur „planloses Stückwerk“. Günter Krings (CDU) kritisiert vor allem das weiterhin hohe Maß an Bürokratie im öffentlichen Dienst und die steigenden Verwaltungsaufwendungen. Stephan Brandner (AfD) bezeichnet das BEG IV als halbherzige Maßnahme, die keinen substanziellen Beitrag zum Bürokratieabbau leiste.
Erleichterungen für die Wirtschaft, aber auch Risiken für den Rechtsstaat?
Lukas Benner von den Grünen sieht in dem Bürokratieabbau ebenfalls einen wichtigen Fortschritt, erinnert aber daran, dass Bürokratie nicht per se schlecht sei. Viele Regeln und Vorschriften dienen dem Umweltschutz, der Gesundheit und dem Klimaschutz. Es gehe darum, Prozesse zu vereinfachen und unnötige Hürden zu beseitigen, ohne dabei die positiven Aspekte der Bürokratie infrage zu stellen.
Das Bürokratieentlastungsgesetz IV ist ein komplexer Entwurf, der in vielen Bereichen Erleichterungen für Unternehmen und Bürger bringen wird. Besonders die Digitalisierung von Verwaltungsakten und die Vereinfachung von Meldepflichten werden Unternehmen in Deutschland mehr Raum für ihre Kernaufgaben geben. Gleichzeitig bleibt die Frage, ob die geplante Verkürzung der Aufbewahrungsfristen langfristig negative Auswirkungen auf die Bekämpfung von Steuerstraftaten haben wird. Während Befürworter die wirtschaftlichen Einsparungen und die ökologischen Vorteile hervorheben, warnen Kritiker davor, dass die Verkürzung der Fristen den Ermittlungsbehörden die Hände binden könnte.