Bürokratieabbau in Deutschland: Ein Milliardenpotenzial für die Wirtschaft
Die Bürokratie in Deutschland hat sich zu einer der größten wirtschaftlichen Belastungen entwickelt. Laut einer aktuellen Studie des Münchner Ifo-Instituts kostet sie die deutsche Wirtschaft jährlich bis zu 146 Milliarden Euro. Die Ergebnisse zeigen nicht nur die Dringlichkeit, sondern auch das enorme Potenzial, das im Bürokratieabbau schlummert.
Die Kosten, die durch Bürokratie entstehen, sind weitaus höher als bisher angenommen. Während der Nationale Normenkontrollrat (NKR) Ende 2023 von direkten Bürokratiekosten in Höhe von 65 Milliarden Euro pro Jahr sprach, zeigt die Ifo-Studie, dass die tatsächliche Belastung mehr als doppelt so hoch ist. Neben den direkten Ausgaben für Dokumentationspflichten und langwierige Verwaltungsverfahren entstehen erhebliche indirekte Kosten, wie etwa Verzögerungen bei Investitionsprojekten oder administrative Aufwände für Unternehmen.
Der Bürokratie-Index: Ein globaler Vergleich
Grundlage der Studie ist ein sogenannter Bürokratie-Index, der den bürokratischen Aufwand in verschiedenen Ländern misst. Besonders beeindruckend sind die Ergebnisse von Ländern wie Schweden, das als Spitzenreiter im Bürokratieabbau gilt. Die Forscher simulierten die möglichen Effekte, wenn Deutschland auf das gleiche Bürokratieniveau wie Schweden gebracht würde. Das Resultat: Die deutsche Wirtschaftsleistung könnte signifikant gesteigert werden.
Digitalisierung als Schlüssel zur Entlastung
Ein wesentlicher Faktor, der die Bürokratiekosten in Deutschland in die Höhe treibt, ist die unzureichende Digitalisierung der öffentlichen Verwaltung. Während Länder wie Dänemark hier eine Vorreiterrolle einnehmen, hinkt Deutschland hinterher. Laut der Studie könnten allein durch eine Anpassung an das dänische Digitalisierungsniveau jährlich bis zu 96 Milliarden Euro zusätzlich an Wirtschaftsleistung generiert werden.
Die Industrie- und Handelskammer (IHK) für München und Oberbayern fordert daher eine umfassende Modernisierung der Verwaltungsprozesse. „Die Unternehmen brauchen einen zentralen Online-Zugang zu allen wirtschaftsrelevanten Leistungen und bundesweit einheitliche, nutzerfreundliche Lösungen“, betont Manfred Gößl, Hauptgeschäftsführer der IHK.
Forderungen der Wirtschaft: Bürokratiemoratorium und klare Reformen
Angesichts der hohen Belastungen plädiert die IHK für ein sofortiges Bürokratiemoratorium. Ziel ist es, alle Nachweis-, Dokumentations- und Berichtspflichten sowie Statistikmeldungen auf den Prüfstand zu stellen. Auch ständige Gesetzesänderungen, Datenschutzvorgaben und langwierige Genehmigungsverfahren sollen überarbeitet und, wo möglich, abgeschafft werden.
Die Forderungen richten sich nicht nur an die deutsche Regierung, sondern auch an die EU. Viele Unternehmen beklagen, dass Vorgaben aus Brüssel zusätzliche Hürden schaffen. Besonders kleine und mittelständische Betriebe sind von der Bürokratie überproportional betroffen.
Erste Ansätze: Das Bürokratieentlastungsgesetz
Die Bundesregierung hat zwar bereits Maßnahmen ergriffen, wie das Bürokratieentlastungsgesetz, das rund 944 Millionen Euro Einsparungen pro Jahr verspricht. Doch viele Experten halten diese Schritte für unzureichend. Mehr als 60 Einzelmaßnahmen wurden verabschiedet, doch der große Wurf fehlt bisher. Laut Gößl sei es notwendig, mutigere und umfassendere Reformen anzustoßen, um die Wirtschaft nachhaltig zu entlasten.
Strukturelle Probleme behindern die Wirtschaft
Neben der Digitalisierung sind auch andere strukturelle Probleme in Deutschland hinderlich. Wolfgang Große Entrup, Hauptgeschäftsführer des Verbands der Chemischen Industrie (VCI), kritisiert, dass hohe Energiepreise, ein unattraktives Steuersystem und langsame Genehmigungsverfahren die Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands beeinträchtigen. „Unsere Industrie braucht daher zeitnah niedrigere Kosten und weniger Regulierungen, um langfristig konkurrenzfähig zu bleiben“, so Große Entrup.