Bürokratie-Wahnsinn: Unternehmen mussten 325.000 Mitarbeiter für Bürokratieaufgaben einstellen

Deutschlands Unternehmen stemmen eine wachsende Regulierungswelle – mit spürbaren Folgen für Kosten, Produktivität und Innovationskraft. Eine neue IAB-Erhebung zeigt die Dimension des Problems und verweist auf dringenden Reformbedarf.

In nur drei Jahren haben Unternehmen hierzulande rund 325.000 Beschäftigte eingestellt, um neue Dokumentations-, Melde- und Nachweispflichten zu bewältigen. Die Zahl steht sinnbildlich für eine Entwicklung, die sich quer durch alle Größenklassen zieht. In einer Befragung des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) bewerteten 2025 bereits 14 Prozent der Betriebe ihre bürokratische Belastung als „sehr hoch“ – 2022 waren es erst 4 Prozent. Im Durchschnitt liegt die Selbsteinschätzung heute bei 6,8 von 10 Punkten und damit um mehr als einen Skalenpunkt über dem Niveau von vor drei Jahren.

Die politische Einsicht, dass gegengesteuert werden muss, ist vorhanden. Nach drei Entlastungspaketen seit 2015 trat am 1. Januar 2025 das Bürokratieentlastungsgesetz IV in Kraft. Es kürzt etwa Aufbewahrungsfristen, hebt Schwellenwerte zur Größenklassifizierung an und schafft Meldepflichten – beispielsweise im Hotelgewerbe – ab. Parallel wirbt Bundesarbeitsministerin Bärbel Bas (SPD) für eine Entschlackung im Arbeitsschutz: Mehr als 123.000 spezielle Beauftragte sollen entfallen, ohne das Schutzniveau zu senken. Trotz solcher Schritte bleibt die Entlastungswirkung gemessen am Problemdruck bislang begrenzt.

Wer besonders betroffen ist

Die Einstellung zusätzlicher Verwaltungskräfte verteilt sich unterschiedlich nach Betriebsgröße. Je 30 Prozent der Großbetriebe (≥ 250 Beschäftigte) und der mittelgroßen Unternehmen (50–249) haben seit 2022 Personal für Verwaltungsaufgaben aufgebaut. Unter Kleinbetrieben (10–49) waren es 16 Prozent, bei Kleinstbetrieben (< 10) 7 Prozent. Absolut betrachtet tragen die kleinen Einheiten dennoch erheblich zur Gesamtzahl bei: Rund 30 Prozent der 325.000 Fälle entfallen auf Kleinstbetriebe, 37 Prozent auf Betriebe mit 10–49 Mitarbeitenden, 20 Prozent auf mittlere und 13 Prozent auf große Unternehmen.

Auch der Branchenblick differenziert: In der Energieversorgung meldete etwa jeder fünfte Betrieb zusätzliche Verwaltungseinstellungen. In öffentlicher Verwaltung/Verteidigung/Sozialversicherung lag der Anteil bei 19 Prozent, in Erziehung und Unterricht bei 17 Prozent. Demgegenüber berichten etwa sonstige Dienstleistungen, Kunst/Unterhaltung/Erholung sowie Information und Kommunikation seltener von einem spürbaren Aufbau administrativer Kapazitäten.

Kosten rauf, Produktivität runter

Die Mehrarbeit in Formularen, Nachweisen und Berichten ist kein Nullsummenspiel. 80 Prozent der Betriebe berichten von gestiegenen Kosten in den vergangenen drei Jahren. 55 Prozent sehen Produktivitätsverluste, im verarbeitenden Gewerbe sind es sogar 61 Prozent – ein Warnsignal für die internationale Wettbewerbsfähigkeit. Wettbewerbsnachteile nennen 19 Prozent der Unternehmen, Investitionshemmnisse ebenfalls 19 Prozent. Innovationshemmnisse werden von 16 Prozent genannt, bei großen Unternehmen steigt dieser Anteil auf 30 Prozent.

Makroökonomisch sind die Bremsspuren belegt: Studien beziffern die Bürokratiekosten in Form entgangener Wirtschaftsleistung zwischen 2015 und 2022 auf durchschnittlich 146 Milliarden Euro pro Jahr – rund 4 Prozent des BIP. Forschungsergebnisse legen zudem nahe, dass wachsende Berichtspflichten insbesondere bei großen Unternehmen die Innovationstätigkeit dämpfen können. Für kleinere und weniger produktive Betriebe wiegen die fixen Regulierungs- und Nachweiskosten relativ schwer – mitunter so schwer, dass Geschäftsmodelle unter Druck geraten. Produktivere Unternehmen wiederum stellen nicht selten über das betriebswirtschaftlich notwendige Maß hinaus ein, um Pflichten zu erfüllen – das kann ihre Position stärken, führt aber gesamtwirtschaftlich nicht zwingend zu mehr Wertschöpfung.

Was treibt die Belastung?

An der Spitze der problematisierten Regelwerke steht die Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO): 68 Prozent der Betriebe sehen sich davon betroffen, bei Großbetrieben sind es 89 Prozent, bei Kleinstbetrieben 62 Prozent. Es folgen EU-Verordnungen zur IT-Sicherheit (32 Prozent, Großbetriebe 64 Prozent) und das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (LkSG) (14 Prozent – im verarbeitenden Gewerbe 33 Prozent, bei großen Betrieben 69 Prozent). Je nach Geschäftsmodell rücken weitere Regime nach vorn: Energiesicherungsgesetz, Fachkräfteeinwanderungsgesetz und ESG-Nachhaltigkeitsberichterstattung nennen 9–12 Prozent der Betriebe. Insgesamt zeigt sich: Je größer das Unternehmen, desto dichter das Netz an Pflichten – doch auch die Höchstwerte der Belastung nehmen bei Kleinstbetrieben überproportional zu (Anteil mit 8–10 auf der Belastungsskala von 15 auf 41 Prozent).

Die bisherigen Entlastungsgesetze haben nachweislich Stellschrauben gelockert. Dennoch verharrt der Erfüllungsaufwand – das Maß für den mit Gesetzen verbundenen Umsetzungsaufwand – auf hohem Niveau; der Nationale Normenkontrollrat (NKR) konstatierte für 2023 einen der stärksten Anstiege seit Einführung der Messung. Auch der Gesetzgebungsprozess selbst verdient eine Revision: Zwischen 2021 und 2023 war der NKR an 144 Gesetzentwürfen beteiligt; durchschnittlich 44 Tage lagen zwischen Eingang und Erledigung, in 44 Fällen sogar höchstens drei Tage – für eine fundierte Folgenabschätzung zu wenig.

Was wäre zu tun?

  • Befristungen und unabhängige Evaluation: Neue Gesetze und Verordnungen sollten grundsätzlich mit Sunset-Klauseln eingeführt und nachweisbasiert evaluiert werden. Wirksamkeit, Nebenwirkungen und Vollzugskosten gehören transparent auf den Prüfstand – mit öffentlicher Dokumentation.
  • Striktere Ex-ante-Kosten-Nutzen-Prüfung: Der NKR braucht ausreichende Zeitfenster und Ressourcen, um die Vollzugstauglichkeit zu testen und Alternativen abzuwägen – inklusive digitaler Standardisierung.
  • Proportionalität nach Größe und Risiko: Schwellenwerte, Bagatellgrenzen und vereinfachte KMU-Verfahren sollten systematisch ausgebaut werden. Wo möglich, Once-Only-Prinzip und Standarddatenmodelle nutzen, damit Informationen nur einmal erhoben und mehrfach verwendet werden.
  • Digital by design: Melde- und Berichtspflichten gehören in interoperable, medienbruchfreie Workflows – mit klaren Schnittstellen, automatischer Plausibilisierung und Echtzeit-Rückmeldungen statt PDF-Pingpong.
  • Doppelregulierung abbauen, Brüssel einbinden: Viele Auflagen speisen sich aus EU-Recht. Nationale Spielräume sind zu nutzen, zugleich braucht es Druck für europaweit schlanke und kohärente Vorgaben.

Die IAB-Zahlen belegen: Bürokratie ist längst nicht mehr Randthema, sondern Standortfaktor erster Ordnung. 325.000 zusätzliche Verwaltungsstellen, 80 Prozent Betriebe mit höheren Kosten und spürbare Produktivitäts- sowie Innovationsdellen – das addiert sich zu einem Wachstumsrisiko. Entlastung ist daher kein Synonym für Deregulierung um jeden Preis, sondern für wirksame, verhältnismäßige und digital anschlussfähige Regulierung.

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